Schwarzer Schwan
Regierung könnte mit den Betreibern in Verhandlungen eintreten. An die freiwillige Einsicht der vier Konzerne appellieren. Den Ausstieg zum langfristigen Ziel erklären. Und bis dahin dürfen die Kraftwerke laufen.«
»Auf die Idee bin ich auch schon gekommen. Mein Memorandum liegt seit Wochen im Kanzleramt.«
»Und?«
»Ich fürchte, Mutti gehört auch zu den Angsthasen.«
Gemeint war die Kanzlerin.
Paschke fuhr fort: »Gestern habe ich mich lange mit Soltau vom Fraktionsvorstand unterhalten. Er meint, dass sich Mutti auf zwei Themen fokussieren wird, um bei den Leuten draußen zu punkten. Das eine ist die Eurorettung, das andere die Kernenergie. Und bei beiden Themen will sie sich aus reinem Populismus mit der Wirtschaft anlegen, also mit den Energieversorgern und den Banken. Wenn das zutrifft, Lothar, dann ist klar, was für uns beide daraus folgt.« Er beugte sich vor und senkte die Stimme. »Sie oder wir.«
Mierscheid kaute und schwieg. Sein Magen brannte schon den ganzen Tag.
Paschkes finsterer Blick ruhte auf ihm. »Wir zwei müssen zusammenhalten.«
Seine Mitarbeiter hatten bereits Feierabend, als Mierscheid sein Büro betrat.
Zu seiner Überraschung stieß er im Vorzimmer auf Malte Lichtenberg, der auf dem Stuhl der Sekretärin saß und offenbar auf ihn gewartet hatte. Breitbeinig, die Arme hinter dem fast kahlen Kopf verschränkt – die Machopose, die Malte von seinem Idol Gerhard Schröder übernommen hatte. Zwischen den Fingern der Rechten eine brennende Zigarette. Seine Augen verrieten Nervosität.
Mierscheid blieb vor dem früheren Freund stehen und widerstand der Versuchung, sich auch einen Glimmstängel anzustecken.
»Hallo, Malte«, sagte er.
»Wir haben ewig nicht miteinander geredet, Lothar. Wie lange ist das her?«
»Du bist der falschen Partei beigetreten.«
»Danke, dass du mir trotzdem den Rücken stärkst.«
»Wir haben die gleichen Freunde.«
»Ich muss so oft an früher denken. Weißt du noch, unsere Krötenzäune?«
»Wir hatten Ideale. Jetzt geht es wieder um Kröten. Allerdings in Eurobeträgen mit recht vielen Nullen.«
»Auch dabei braucht es Leute, die schützend eingreifen, wenn Gefahr droht.«
»Glaubst du eigentlich selbst, was du sagst?«
»Komisch. Dasselbe hat mich Paula auch gefragt. Die gleichen Worte.«
Mierscheid schwieg.
»Wie geht’s dir, Lothar? Siehst nicht gut aus.«
»Du auch nicht.«
»Na ja, kein Wunder, oder?«
Für einen Moment und, ohne es erklären zu können, fühlte sich Mierscheid wie ein Ehebrecher. Er ging in sein Zimmer und holte einen Aschenbecher, damit Malte seine Zigarette nicht in den Papierkorb abschnippte. Dabei überlegte er, wie er dem Kumpel von einst sein Beileid ausdrücken sollte.
Malte Lichtenberg kam ihm zuvor. »Stimmt es, dass sich Paula mit dir in Düsseldorf treffen wollte? Die Polizei hat mir so etwas gesagt.«
»Ja, es stimmt. Aber wenn du glaubst, dass da etwas zwischen Paula und mir …«
»Unsinn.«
»Was sich der Blitz aus den Fingern gesogen hat, ist völliger Quatsch.«
»Mir völlig egal. Wir waren schon eine Weile nicht mehr zusammen.«
Mierscheid musterte sein Gegenüber. »Ihr habt euch nicht gerade im Guten getrennt, oder? Sie scheint dich ziemlich gehasst zu haben. Warum eigentlich?«
»Wie kommst du darauf?«
»Sie wollte, dass ich dich im Untersuchungsausschuss fertigmache.«
»Typisch.« Lichtenberg nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch gegen die Decke. »Was hat sie noch gesagt?«
»Dass sie gekündigt habe und dass ihr das Treiben auf den Finanzmärkten zuwider sei. Sie hat fast wie eine von der Linkspartei geklungen.«
»Paula war durchgeknallt. Der Selbstmord ihrer Schwester hatte sie völlig konfus gemacht. Überall sah sie Verschwörer am Werk. Krank, wenn du mich fragst.«
In diesem Moment wurde Mierscheid klar, dass sich die Zeit ihrer Freundschaft nicht zurückholen ließ. »Einen durchgeknallten Eindruck hat sie auf mich aber nicht gemacht.«
Lichtenberg drückte die Zigarette in den Ascher. »Dass sie bei der Deutschen Börse gekündigt hat, war ihr Ding, okay. Aber plötzlich hat sie verlangt, ich solle ebenfalls mein Leben ändern. Ich verstehe mich zum Beispiel ganz gut mit Dingendorff von der RheinBank. Das war Paula auf einmal ein Dorn im Auge. Sie und ihre seltsamen Anwandlungen. Als sollte ausgerechnet ein Finanzstaatssekretär gegen die Banken aufbegehren.«
»Hast du sie deshalb ermorden lassen?«
Schweigen.
Mierscheid ging ans Fenster und öffnete es.
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