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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Ihnen.«
Das Mädchen wandte sich wieder ihrem Roman zu. Um 15 Uhr 50 ergriff sie auf der Suche nach einem Lesezeichen Landers Brief. Ihr Blick fiel auf den Namen.
»Nummer sechsunddreißig. Sechsunddreißig«, sagte sie in das Mikrofon. Dann rief sie Pughs Büro an. »Mr. Lander ist jetzt da.«
    Pugh war etwas überrascht über Landers Erscheinung. Der Mann sah geradezu schneidig aus in seiner Uniform eines Captain der Zivilluftfahrt. Sein Gang war energisch und sein Blick fest und klar. Pugh hatte sich vorgestellt, er würde es hier mit lauter hohläugigen Männern zu tun haben.
    Lander war über Pughs Erscheinung nicht im geringsten überrascht. Er hatte sein Leben lang alle Beamten gehaßt.
»Sie sehen gut aus, Captain. Sie scheinen sich ja wunderbar erholt zu haben.«
»Wunderbar.«
»Sicher ist es schön, wieder bei der Familie zu sein.«
Lander lächelte. Aber seine Augen waren an diesem Lächeln nicht beteiligt. »Der Familie geht es gut, soweit ich weiß.«
»Ihre Angehörigen sind nicht bei Ihnen? Sie sind verheiratet, wie ich sehe ... Moment, hier steht es, ja. Und Sie haben zwei Kinder?«
»Ja, ich habe zwei Kinder. Ich bin geschieden.«
»Verzeihung. Mein Vorgänger, Mr. Gorman, hat leider sehr wenige Aufzeichnungen hinterlassen.« Gorman war wegen Unfähigkeit befördert worden.
Lander sah Pugh unverwandt an. Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen.
»Wann wurden Sie geschieden, Captain? Ich muß Ihre Akte ergänzen.« Pugh war wie eine Kuh, die seelenruhig am Rande eines Sumpfes grast und nicht ahnt, was in der Tiefe des schwarzen Schattens auf sie lauert.
Plötzlich sprach Lander über Dinge, über die er nie nachdenken konnte. Über die er nie nachdenken wollte.
»Das erste Mal reichte sie die Scheidung zwei Monate vor meiner Freilassung ein. Als die Pariser Gespräche der bevorstehenden Wahlen wegen vertagt wurden, glaube ich. Aber sie hat die Sache damals nicht zu Ende geführt. Sie ist ein Jahr nach meiner Rückkehr ausgezogen. Bitte, machen Sie sich nur keine Gedanken, Mr. Pugh. Die Regierung hat wirklich alles getan, was sie konnte.«
»Davon bin ich überzeugt, aber es muß -«
»Ein Navy-Offizier kam nach meiner Gefangennahme mehrmals zu Margaret. Er trank Tee mit ihr und beriet sie. Es gibt ein Standardverfahren zur Vorbereitung der Frauen von Kriegsgefangenen, wie Ihnen sicherlich bekannt ist.«
»Ich nehme an, daß es manchmal -«
»Er erklärte ihr, daß es unter entlassenen Kriegsgefangenen überdurchschnittlich viele Fälle von Homosexualität und Impotenz gibt. So wußte sie doch wenigstens, worauf sie sich gefaßt zu machen hatte, verstehen Sie?« Lander wollte aufhören. Er mußte aufhören.
»Es ist besser, die Dinge -«
»Er sagte ihr, daß die Lebenserwartung eines entlassenen Kriegsgefangenen gegenüber der durchschnittlichen Lebenserwartung etwa um die Hälfte vermindert ist.« Lander trug jetzt ein breites Lächeln zur Schau.
»Aber sicherlich müssen doch auch noch irgendwelche anderen Gründe eine Rolle gespielt haben, Captain.«
»Oh, natürlich. Sie hat es damals nebenbei schon kräftig mit anderen getrieben, falls Sie das meinen.« Lander lachte. Aber der alte Stachel bohrte in ihm, und der Druck hinter seinen Augen nahm zu. Du brauchst sie nicht einzeln zu erledigen, Michael. In einer Zelle sitzen und masturbieren und singen.
Lander schloß die Augen, um das Pulsieren von Mr. Pughs Halsschlagader nicht zu sehen.
Pugh wollte schon in Landers Lachen einstimmen, um sich bei ihm anzubiedern. Aber er war ein strenggläubiger Baptist, und leichtfertige, lose Reden über Sex störten ihn. Er konnte das Lachen gerade noch rechtzeitig unterdrücken. Das rettete ihm das Leben.
Pugh nahm die Akte wieder zur Hand. »Sind Sie in dieser Sache beraten worden?«
Lander war jetzt ruhiger. »O ja. Ein Psychiater im St. Albans, dem Navy-Krankenhaus, hat mit mir darüber gesprochen. Er meinte, ich solle mir nichts daraus machen.«
»Wenn Sie glauben, daß Sie weitere Beratung brauchen, könnte ich das für Sie in die Wege leiten.«
Lander sah ihn augenzwinkernd an. »Hören Sie zu, Mr. Pugh«, sagte er. »Sie sind ein Mann von Welt, und ich bin es auch. Solche Dinge kommen vor. Aber worüber ich mit Ihnen sprechen wollte, das ist diese alte Flosse hier.« Er hielt seine entstellte Hand hoch. »Wie war’s mit irgendeiner Entschädigung?«
Jetzt befand sich Pugh auf vertrautem Boden. Er zog Landers Formular 214 aus dem Aktendeckel. »Da Sie offensichtlich nicht arbeitsunfähig sind, müssen

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