Schwarzer Sonntag
nahm er, sobald das große Luftschiff festgemacht worden war, eine Maschine der National Airways nach Newark und fuhr von dort zu seinem Haus in der Nähe der nördlichen Flugbasis des Luftschiffs in Lakehurst, New Jersey.
Seine Frau hatte ihm, als sie ihm davongelaufen war, das Haus überlassen. An diesem Abend brannten noch lange die Lichter in der Garage, die ihm als Werkstatt diente. Lander wartete auf Dahlia und arbeitete unterdessen. Er rührte auf seiner Werkbank Epoxydharz in einem Kanister um. Der strenge Harzgeruch erfüllte die Garage. Auf dem Boden hinter ihm lag ein seltsamer, fünfeinhalb Meter langer Gegenstand. Es war eine Kernform. Lander hatte sie aus dem Rumpf eines kleinen Segelboots gebastelt. Er hatte den Rumpf umgedreht und ihn am Kiel entlang gespalten. Die beiden Hälften lagen in einem Abstand von 45 Zentimeter nebeneinander und waren durch einen breiten, gemeinsamen Bug verbunden. Von oben betrachtet sah das Gebilde wie ein großes, stromlinienförmiges Hufeisen aus. Das Anfertigen der Form hatte wochenlang seine Freizeit in Anspruch genommen. Jetzt war sie mit einer glänzenden Fettschicht bedeckt und bereit.
Leise pfeifend beschichtete Lander die Form abwechselnd mit Glasfaser und Harz und spänte sorgfältig die Kanten ab. Wenn die Hülle aus glasfaserverstärktem Kunstharz getrocknet war, und er sie von der Form ablöste, würde er ein leichtes, schnittiges, gondelförmiges Gehäuse haben, das genau unter die Gondel des Luftschiffs paßte. Die Öffnung in der Mitte bot Platz für das Fahrgestell mit dem einzigen Laufrad und die Transponderantenne. Der Rahmen, der, von der kleinen Kunstharzhülle umschlossen, die Ladung tragen würde, hing an einem Nagel an der Wand der Garage. Er war sehr leicht und sehr stabil. Er bestand aus zwei Längsträgern aus Chrom-Molybdän-Rohren Reynolds 5130 und Querrippen aus dem gleichen Material.
Lander hatte im Verlauf seiner Ehe die Doppelgarage in eine Werkstatt umgewandelt, und in den Jahren, ehe er nach Vietnam ging, hatte er hier einen großen Teil seiner Möbel angefertigt. Die Dinge, die seine Frau nicht hatte mitnehmen wollen, waren noch immer über den Deckenbalken gespeichert: ein hochbeiniger Kinderstuhl, ein zusammenklappbarer Campingtisch, Gartenmöbel aus Korbgeflecht. Das Neonlicht war grell, und Lander trug eine Baseballmütze, während er, leise pfeifend, an der Form arbeitete.
Einmal hielt er inne und dachte nach, dachte lange nach. Dann fuhr er fort, die Oberfläche zu glätten, und hob beim Gehen jedesmal sorgsam die Füße, damit er die Zeitungen, die er auf dem Boden ausgebreitet hatte, nicht zerriß.
Kurz nach vier Uhr früh klingelte das Telefon. Lander nahm den Hörer des Nebenanschlusses in der Garage ab. »Michael?«
Ihr britischer Tonfall überraschte ihn immer wieder. Er stellte sich vor, wie ihr dunkles Haar über den Hörer fiel.
»Wer sonst?«
»Großmutter geht es gut. Ich bin am Flughafen und komme bald. Aber bleib nicht auf. Geh schlafen.«
»Was -«
»Michael, ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen.« Dann ein Klicken. Sie hatte aufgelegt.
Es war schon kurz vor Sonnenaufgang, als Dahlia in die Zufahrt zu Landers Haus einbog. Die Fenster waren dunkel. Sie war beunruhigt, aber nicht so sehr wie bei ihrer ersten Begegnung - damals hatte sie das Gefühl gehabt, sie sei mit einer Schlange im Zimmer. Sie sah die Schlange nicht, aber sie hatte gespürt, daß sie da war. Seit sie mit ihm zusammenlebte, vermochte sie das Unheilvolle in Michael Lander von seiner übrigen Person zu trennen. Wenn sie jetzt bei ihm war, hatte sie das Gefühl, sie seien beide mit der Schlange im gleichen Zimmer, und sie konnte auch sagen, wo sie war und ob sie schlief.
Als sie ins Haus trat, machte sie mehr Lärm als nötig, und während sie die Treppe hinaufging, sang sie leise seinen Namen in die Stille hinein. Sie wollte ihn nicht erschrecken. Im Schlafzimmer war es stockdunkel.
Von der Tür aus sah sie die Glut seiner Zigarette - ein winziges rotes Auge.
»Hallo«, sagte sie.
»Komm her.«
Sie ging durch die Dunkelheit auf den roten Punkt zu. Ihr Fuß stieß leicht gegen die Schrotflinte, die unangetastet neben seinem Bett auf dem Boden lag. Es war alles in Ordnung. Die Schlange schlief.
Lander träumte von den großen Walen, und er sträubte sich, aus dem Schlaf emporzutauchen. In seinem Traum glitt der große Schatten des Navy-Luftschiffs über das weite Eis unter ihm. Immer weiter flog er durch den endlosen Tag. Es war 1956, und er
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