Schwarzer Sonntag
pochen.
Fensterlose Gänge, abgestandene Luft. Lander ging durch die langen Flure des Amtsgebäudes, wo die Bohnermaschine zwischen den Wänden hin und her geglitten war und glänzende Bögen hinterlassen hatte. Wachtposten in blauen Uniformen kontrollierten die Aktentaschen der Besucher. Lander hatte keine Tasche bei sich.
Das Mädchen am Empfangstisch las in einem Roman mit dem Titel Die heiratslustige Krankenschwester.
»Mein Name ist Michael Lander.«
»Haben Sie sich eine Nummer genommen?« fragte das Mädchen.
»Nein.«
»Nehmen Sie sich eine Nummer.«
Er nahm eine numerierte Marke von einem Tablett neben dem Schreibtisch.
»Welche Nummer haben Sie?«
»Sechsunddreißig.«
»Wie ist Ihr Name?«
»Michael Lander.«
»Arbeitsunfähigkeit durch Kriegsverletzung?«
»Nein. Ich sollte mich heute melden.« Er gab ihr den Brief von der Fürsorgeverwaltung für Kriegsteilnehmer.
»Nehmen Sie bitte Platz.« Sie beugte sich über das Mikrofon, das neben ihr stand. »Nummer siebzehn.«
Nummer siebzehn, ein verwahrlost aussehender junger Mann in einer Kunstlederjacke, fegte an Lander vorbei und verschwand in dem Gewirr von Gängen hinter dem Empfang.
Etwa die Hälfte der fünfzig Plätze in dem Warteraum waren besetzt. Die meisten der Männer waren noch sehr jung, ehemalige Ranger, die in Zivil ebenso schlampig wirkten wie sie in ihren Uniformen ausgesehen hatten. Lander konnte sie sich vorstellen, wie sie in ihren zerknitterten grünen Jacken in einem Busbahnhof an den Spielautomaten herumlungerten.
Lander gegenüber saß ein Mann mit einer glänzenden Narbe über der Schläfe. Er hatte versucht, sich die Haare darüber zu kämmen. Alle zwei Minuten zog er ein Taschentuch heraus und putzte sich die Nase. Er hatte in jeder Tasche ein Taschentuch.
Der Mann neben Lander saß still da, die Hände auf den Knien. Nur seine Augen bewegten sich. Sie ruhten keine Sekunde und folgten jedem, der durch den Warteraum ging. Oft drehte er angestrengt die Augen nach rechts oder links, aber nie wandte er den Kopf.
In einem kleinen Büro, das sich in dem Labyrinth hinter dem Empfang befand, saß Harold Pugh an seinem Schreibtisch und wartete auf Lander. Pugh, ein aufstrebender Verwaltungsbeamter, betrachtete den ihm zugewiesenen Posten in der Sonderabteilung für ehemalige Kriegsgefangene als »eine ehrende Auszeichnung«.
Seine neue Stellung zwang ihn zur Lektüre beträchtlicher Mengen von Druckschriften. Darunter befand sich eine Abhandlung, die der psychiatrische Berater des Generalarztes der Air Force verfaßt hatte. Darin hieß es: »Es ist ausgeschlossen, daß ein Mann, der in hohem Maße Mißhandlungen, Isolation und Entbehrungen ausgesetzt gewesen ist, nicht eine Depression entwickelt, die einem außerordentlich starken, über lange Zeit hin unterdrückten Zorn entspringt. Es ist lediglich die Frage, wann und wie die depressive Reaktion an die Oberfläche dringen und sich manifestieren wird.«
Pugh hatte sich vorgenommen, alle diese Schriften, sobald er Zeit dazu fand, gründlich zu studieren. Jetzt lag ein eindrucksvolles militärisches Zeugnis vor ihm auf dem Tisch. Während er auf Lander wartete, überflog er es noch einmal.
Lander, Michael J. 0214278603. Korea 1951. Offiziersanwärterschule der Navy. Sehr gute Noten. 1954 Ausbildung als Spezialist für Gasluftfahrzeuge in Lakehurst, New Jersey. Außergewöhnliche Beurteilungen. Auszeichnung für Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Vereisung von Luftfahrzeugen. 1956 Polarexpedition der Navy. Wechselte zur Verwaltung über, als die Navy 1964 ihr Blimp-Programm einstellte. Meldete sich 1964 freiwillig als Hubschrauberpilot. Vietnam. Zwei Dienstzeiten. Am 10. Februar 1967 bei Dong Hoi abgeschossen. Sechs Jahre Kriegsgefangenschaft.
Pugh fand es merkwürdig, daß ein so bewährter Offizier den Dienst quittiert hatte. Irgend etwas stimmte da nicht ganz. Pugh erinnerte sich an die Hearings, bei denen die Kriegsgefangenen nach ihrer Heimkehr unter Ausschluß der Öffentlichkeit vernommen worden waren. Vielleicht war es besser, Lander nicht zu fragen, weshalb er seine Entlassung vom Militär beantragt hatte.
Er sah auf seine Uhr. 15 Uhr 40. Der Junge kam zu spät. Er drückte auf einen Knopf an seinem Telefon. Das Mädchen vom Empfang meldete sich.
»Ist Mr. Lander noch nicht da?«
»Wer, Mr. Pugh?«
»Lander. Lander. Er ist einer von den Sonderfällen. Sie haben Weisung, ihn sofort hereinzuschicken, wenn er kommt.«
»Ja, Mr. Pugh. Ich schicke ihn gleich, wenn er kommt, zu
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