Schwarzer Sonntag
wissen, daß er nicht doch plötzlich Gewissensbisse bekommt und dich bei den amerikanischen Behörden anzeigt?« fragte Ali beharrlich.
»Und was hätten sie davon, wenn er es täte?« erwiderte Dahlia. »Ich bin ein kleiner Fang. Sie würden den Sprengstoff in die Hände bekommen, ja, aber die Amerikaner haben schon jede Menge plastique, wie wir aus eigener Erfahrung wissen.« Dies war für Nadscheer bestimmt, und sie sah, wie er ihr einen scharfen Blick zuwarf.
Die israelischen Terroristen benutzten bei ihren Überfällen fast ausnahmslos den amerikanischen Plastiksprengstoff C-4. Nadscheer mußte daran denken, wie er die Leiche seines Bruders aus einer zertrümmerten Wohnung in Bhandoum geholt hatte und dann noch einmal hineingegangen war, um nach den Beinen zu suchen.
»Der Amerikaner hat sich an uns gewandt, weil er Sprengstoff braucht. Das weißt du ganz genau, Genosse«, sagte Dahlia. »Und er wird mich weiterhin brauchen, für andere Dinge. Was wir tun, kollidiert nicht mit seiner politischen Einstellung, denn er hat keine. Und er hat auch nicht das, was man ein Gewissen nennt, jedenfalls kein Gewissen im üblichen Sinne. Er wird mich nicht anzeigen.«
»Sehen wir ihn uns noch einmal an«, sagte Nadscheer. »Genossin Dahlia, du hast diesen Mann nur in einer einzigen Umgebung beobachtet. Ich möchte ihn dir jetzt in einer völlig anderen Situation zeigen. Ali.«
Abu-Ali stellte einen Sechzehn-Millimeter-Filmprojektor auf den Schreibtisch und schaltete die Lampen aus. »Wir haben diesen Film kürzlich über eine Quelle in Nord-Vietnam erhalten, Genossin Dahlia. Er ist einmal im amerikanischen Fernsehen gezeigt worden, aber das war, ehe du im Haus des Krieges stationiert wurdest. Ich glaube nicht, daß du ihn gesehen hast.«
Die Nummern des Filmvorspanns erschienen verschwommen an der Wand, und verzerrte Musik dröhnte aus dem Lautsprecher. Als der Film auf Touren kam, verdichtete sich der Ton zu den Klängen der Nationalhymne der Demokratischen Republik Vietnam, und aus dem hellen Viereck an der Wand wurde ein weiß getünchter Raum. Auf dem Boden saßen etwa zwei Dutzend amerikanische Kriegsgefangene. Dann schwenkte die Kamera, und man sah ein Lesepult, an dem ein Mikrofon befestigt war. Ein großer, hagerer Mann ging mit schleppenden Schritten auf das Pult zu. Er trug die sackartige Kriegsgefangenenuniform und an den Füßen Socken und Riemensandalen. Seine eine Hand steckte in den Falten seiner Jacke. Die andere legte er flach auf den Oberschenkel, als er sich vor den Funktionären vorn im Raum verbeugte. Dann wandte er sich dem Mikrofon zu und fing langsam an zu sprechen.
»Ich bin Michael J. Lander, Lieutenant Commander der U.S. Navy, gefangengenommen am 10. Februar 1967 bei einem Einsatz, bei dem ich über einem Zivilkrankenhaus in der Nähe von Ninh Binh ... in der Nähe von Ninh Binh Brandbomben abwarf. Obwohl die Beweise für die von mir begangenen Kriegsverbrechen eindeutig sind, hat die Demokratische Republik Vietnam mich nicht bestraft, sondern hat mir gezeigt, welches Leid amerikanische Kriegsverbrechen wie die meinen und diejenigen anderer ... und diejenigen anderer verursacht haben. Ich bedaure, was ich getan habe. Ich bedaure, daß wir Kinder getötet haben. Ich fordere das amerikanische Volk auf, diesen Krieg zu beenden. Die Demokratische Republik Vietnam hegt keine ... hegt keine feindseligen Gefühle gegen das amerikanische Volk. Sein Haß richtet sich gegen die Kriegstreiber, die in den Vereinigten Staaten die Macht ausüben. Ich schäme mich dessen, was ich getan habe.«
Die Kamera schwenkte langsam über die anderen Gefangenen hin, die wie aufmerksame Schüler, aber mit betont ausdruckslosen Gesichtern dasaßen. Der Film endete mit der Nationalhymne.
»Ziemlich plump«, sagte Ali, dessen Englisch nahezu makellos war. »Sie müssen ihm die Hand an die Seite gebunden haben.« Er hatte Dahlia während des Films genau beobachtet. Ihre Augen hatten sich bei der Nahaufnahme des ausgezehrten Gesichts eine Sekunde lang geweitet. Davon abgesehen hatte sie teilnahmslos auf die Wand gestarrt.
»Brandbomben auf ein Krankenhaus«, murmelte Ali nachdenklich. »Demnach hat er also Erfahrung mit dieser Art Dingen.«
»Er wurde bei einem Rettungseinsatz gefangengenommen. Er flog einen Hubschrauber und war auf der Suche nach der Besatzung eines abgeschossenen Phantom-Jägers«, sagte Dahlia. »Ihr habt doch meinen Bericht gelesen.«
»Ich habe gelesen, was er zu dir gesagt hat«, antwortete Nadscheer.
»Er
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