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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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halten.
Lander war ein außergewöhnlich guter Pilot in einem schwierigen Bereich der Fliegerei: Es ist nicht leicht, ein Luftschiff zu fliegen. Sein fast neutraler Auftrieb und seine riesige Oberfläche liefern es, sofern es nicht geschickt gesteuert wird, wehrlos dem Wind aus. Lander hatte den Instinkt eines Seemanns für den Wind, und er besaß die Gabe, die nur die besten Luftschiffpiloten haben: kluge Voraussicht. Die Bewegungen eines Luftschiffs sind zyklisch, und Lander war immer zwei Züge voraus. Er hielt den großen grauen Wal in den Wind, so wie ein Fisch stromaufwärtsgerichtet im Wasser liegt, grub den Bug leicht in die Böen und hob ihn bei jeder kurzen Windstille, so daß immer das hintere Ende zur Hälfte im Windschatten lag. Wenn das Spiel auf dem Feld unterbrochen wurde, blickten viele der Zuschauer zu dem Luftschiff hinauf, und manche winkten auch. Das massige lange Gebilde, das da über ihnen in der klaren Luft hing, faszinierte sie.
    Lander hatte gleichsam einen Autopiloten in seinem Kopf. Und während dieser die ständigen kleinen Korrekturen befahl, die das Luftschiff ruhig hielten, dachte Lander an Dahlia. An die Stelle mit den feinen Härchen in ihrem Kreuz, und wie es sich anfühlte, wenn er mit der Hand darüber strich. An ihre scharfen Zähne. An den Geschmack nach Honig und Salz.
    Er sah auf seine Uhr. Dahlia müßte vor einer Stunde in Beirut abgeflogen sein. Sie war auf dem Rückflug.
Lander konnte voller Zufriedenheit an zwei Dinge denken: an Dahlia und ans Fliegen.
Seine mit Narben bedeckte linke Hand schob sanft den Gashebel und den Hebel für die Schraubensteigung nach vorn, und er rollte das große Höhensteuerrad neben seinem Sitz zurück. Das Luftschiff gewann rasch an Höhe. Lander sprach ins Mikrofon:
»Nora Eins Zero, verlasse das Stadion für einen Rundflug in 360 Meter Höhe.«
»Roger, Nora Eins Zero«, erwiderte die Stimme vom Kontrollturm von Miami fröhlich.
Die Männer von der Flugsicherung und die Funker in den Kontrolltürmen sprachen gern mit dem Luftschiff, und viele hatten einen Scherz bereit, wenn sie wußten, daß es kam. Der Blimp erweckte bei den Leuten ähnlich freundliche Gefühle wie ein kleiner Panda. Für Millionen von Amerikanern, die den Blimp bei sportlichen Veranstaltungen oder bei Ausstellungen sahen, war er der große, liebenswerte, langsam am Himmel dahinziehende Freund. Die Leute nannten ihn im Scherz fast immer »der Elefant« oder »die dicke Zigarre« oder »der Wal«. Kein Mensch sagte jemals »die Bombe«.
Schließlich war das Spiel zu Ende, und der 70 Meter lange Schatten des Luftschiffs glitt schnell über die kilometerlange Wagenschlange hinweg, die sich von dem Stadion davonwälzte. Der Kameramann und sein Assistent hatten ihre Geräte verpackt und aßen belegte Brote. Lander hatte schon oft mit ihnen zusammengearbeitet.
Die sinkende Sonne legte ein rotgoldenes Feuerband über die Biscayne Bay, während das Luftschiff über dem Wasser dahinschwebte. Dann wandte sich Lander nach Norden und flog etwa fünfzig Meter vor der Küste von Miami Beach entlang. Die beiden Fernsehleute und der Bordmechaniker richteten ihre Feldstecher auf die Mädchen in ihren Bikinis. Einige der Badenden winkten.
»He, Mike, stellt Aldrich eigentlich auch Pariser her?« schrie Pearson, der Kameramann, mit vollem Mund.
»Ja«, sagte Lander über die Schulter hinweg. »Pariser, Reifen, Enteiser für Flugzeuge, Wischgummis für Scheibenwischer, Badewannenspielzeug, Luftballons und Leichensäcke.«
»Kriegst du bei deinem Job die Pariser umsonst?«
»Na klar. Ich hab jetzt auch einen an.«
»Und wie sieht ein Leichensack aus?«
»Wie ein großer Pariser. Ein und dieselbe Größe paßt für alle«, sagte Lander. »Sie sind innen dunkel. Onkel Sam benutzt sie als Pariser. Wenn du welche siehst, weißt du, daß er mal wieder Dummheiten gemacht hat.« Um Pearson würde es ihm nicht leid tun, wenn er auf den Knopf drückte. Um keinen von ihnen würde es ihm leid tun.
Der Blimp flog im Winter nur selten. Sein Winterquartier befand sich bei Miami, und der große Hangar ließ alle übrigen Gebäude am Rande des Flugplatzes klein wie Streichholzschachteln erscheinen. In jedem Frühjahr flog er mit einer Geschwindigkeit von 35 bis 60 Knoten, je nach Windstärke, nordwärts zu den großen landwirtschaftlichen Ausstellungen und den Baseballspielen. Die Aldrich Company stellte Lander im Winter ein Apartment in der Nähe des Flugplatzes von Miami zur Verfügung, aber an diesem Tag

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