Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
Vom Netzwerk:
geweint. Vielleicht stand dieser Ausbruch noch bevor.
    Rachaela blickte hinaus auf die schneebedeckten Straßen in der Dämmerung; der Schnee häufte sich an den Mauern, und die Fußgänger rutschten und glitten über das Eis.
    Die Stille im Raum war ohrenbetäubend.
    Das Kind kam nicht mehr zum Mittagessen nach Hause. Sie nahm belegte Brote mit und aß sie in der Schule. Eine zusätzliche Aufgabe für Rachaela. Manchmal hatte Ruth von Emma auch ihr Frühstück bekommen, doch es war einfach, Cornflakes oder Toast. Das Abendbrot war unangenehmer. Das Kind war an warmes Essen gewöhnt und verlangte danach. Sie kam in die Wohnung und wartete hinter ihrer Wand auf Rachaela. Sie sprach nie zuerst.
    » Hallo, Ruth.«
    » Hallo, Mami.«
    Rachaela hasste es, Ruths Abendessen zu kochen.
    Normalerweise war es nichts, was sie selbst essen wollte, und sie musste jedes Mal zwei verschiedene Mahlzeiten zubereiten. Rachaela versuchte, Ruth das zu bieten, was sie bei Emma bekommen hatte; Speisen, die sie mochte oder die gut für sie waren: Würstchen und Pommes frites, Hähnchen und Brokkoli, frische Karotten, gegrillter Fisch mit Käse und gebackenen Bohnen. Ruth war ebenfalls an ein Dessert gewöhnt, und Rachaela kaufte ihr Obstkuchen und Eiscreme, doch Emma hatte selbst Pflaumentörtchen und mächtige Puddings, Kekse und gebratene Äpfel hergestellt. Rachaela füllte eine riesige blaue Schüssel mit Äpfeln, Orangen, Birnen und Bananen für das Kind, wie Emma es getan hatte.
    Ein Vorrat an Orangensaft, Limo und Cola musste im Kühlschrank sein.
    Der Kühlschrank war übervoll. Das Kind zu ernähren war teuer.
    Glücklicherweise wurde die Waschmaschine mit Ruths Kleidern ebenso gut fertig wie in den letzten sechs Jahren. Emma hatte Ruths Blusen gebügelt. Rachaela kaufte neue, die man nicht bügeln musste.
    Nach dem Abendessen zog sich Ruth in ihren Bereich zurück. Sie erledigte ihre wenigen Hausaufgaben, wenn sie überhaupt welche aufhatte, oder malte wilde, grelle Bilder, Wälder voller Löwen und brennenden Schlössern, Duelle in der Wüste, Schiffe in Stürmen. Ihre Fantasie wurde offensichtlich durch die Schule und die Bücher angeregt. Zweimal pro Woche ging sie in die Bücherei, meistens allein.
    Abgesehen von den teuren, schrecklichen Mahlzeiten und der ständigen Erneuerung ihrer Kleidung machte sie sehr wenig Ärger.
    Sie schlief geräuschlos. Während der Nacht war es schwierig festzustellen, ob sie überhaupt da war. Emmas Wohnung stand sechs Monate leer, bevor jemand einzog.
    Es waren unangenehme Neuankömmlinge: zwei junge Männer, die abends laute Musik spielten und manchmal lärmende Streitigkeiten austrugen, einschließlich der am Tag ihrer Landung in diesen Gefilden.
    Ruth reagierte mit Gleichmut auf diesen fremden Einfluss. Sie hatte nie um Emma geweint.
    Zuerst trafen Emmas auf lustiges, buntes Papier gekritzelte Nachrichten jeden neunten oder zehnten Tag ein. Ruth zog sich zurück, um sie zu lesen und dann in einer ihrer Schubladen zu verstauen. Sie gab niemals einen Kommentar zu diesen Nachrichten ab, schien weder bedrückt noch froh darüber. Nach ein paar Monaten nahm die Anzahl der Briefe ab. Ruth hatte nie darauf geantwortet.
    » Wenn du Emma schreiben willst«, sagte Rachaela, » nimm dir einfach Briefbogen und Umschlag aus dem Schrank.« Sie hatte sie speziell aus diesem Grund angeschafft. » Wir haben haufenweise Briefmarken.« Ruth sagte Ja, sie wisse um das Papier und die Briefmarken. Sie benutzte die Sachen nie. Nach vier Monaten erhielt Rachaela selbst einen Brief von Emma. Emma war im siebten Himmel, steckte voller Neuigkeiten über Liz, doch sie erkundigte sich auch nach Ruth. » Kinder sind so schlimm, wenn es ums Briefeschreiben geht. Ich kann mich erinnern, dass ich einfach schrecklich war.«
    Rachaela beantwortete den Brief eine Woche später. Ruth und ihr ginge es gut, nichts hätte sich ereignet, Ruth hätte im Moment sehr viele Hausaufgaben und würde liebe Grüße schicken.
    Rachaela hatte Ruth nicht gefragt, ob sie Emma liebe Grüße schicken wollte. Wahrscheinlich wollte Ruth das nicht. Emma war Vergangenheit.
    Diese abgedroschene Kommunikation bereitete Emmas Overtüren ein Ende, und langsam verblasste sie aus ihrem Leben. Eines Tages fand Rachaela all die bunten Briefe von Emma an Ruth in dem Abfalleimer unter der Spüle. Ganz am Anfang hatte sie sich mit Ruth an den kleinen Tisch gesetzt.
    » Es tut mir leid, dass Emma weggehen musste. Es ist schwer für dich. Aber wir werden

Weitere Kostenlose Bücher