Schwarzer Tanz
einfach das Beste daraus machen.«
Ruth hatte sie weder angesehen noch geantwortet. Sie malte gerade eine große Frau mit wehenden Ärmeln.
» Du weißt, ich kann dir nicht so viel Zeit widmen wie Emma. Ich muss arbeiten. Aber wenn es Probleme gibt, dann musst du es mir sagen, weil Emma nicht mehr da sein wird. Hast du verstanden?«
» Ja«, sagte Ruth nach einer kurzen Pause.
Rachaela sagte nicht, dass sie das Kind so oft wie möglich allein lassen würde, weil sie dasselbe von dem Kind erwartete. Das war aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung miteinander eine stillschweigende Vereinbarung zwischen ihnen.
Rachaela dachte, der Fehler ihrer eigenen Mutter war gewesen, dass sie ständig versucht hatte, ein Kind, das sie eigentlich nicht gewollt hatte, nach ihrem Willen zu formen und zu beugen. Ruth und sie hatten einen friedlichen Waffenstillstand geschlossen. Sie würden niemals Freunde sein, doch wenn sie ausreichend Abstand voneinander hielten, würden sie vielleicht auch keine Feinde werden.
Rachaela hasste Ruth nicht mehr. Ruth war jetzt ein selbstständiges Wesen, das alleine zur Toilette gehen, sich waschen, seine Mahlzeiten einnehmen, sich selbst anziehen und auch amüsieren konnte.
Da Ruth nicht geweint hatte, bestand für Rachaela keine Verpflichtung, weiterhin künstliches Mitleid und Wärme zu verströmen, die sie nicht empfand. Rachaela versuchte, das Kind nicht einzuengen, es seinen eigenen, wilden und schweigenden Weg gehen zu lassen. Ruth zeigte Rachaela nie etwas – ihre Kunstwerke, ihre Hausaufgaben oder Bücher –, doch Rachaela ließ ihr freien Zugang zu ihrem eigenen, in der Zwischenzeit überfüllten Bücherregal, und ein- oder zweimal, wenn Geld vorhanden war, hatte sie Ruth Bücher über bizarre Kunst von Kay Nielsen und Vali Myers gekauft. Ruth nahm diese Geschenke höflich entgegen, studierte sie trotzdem eingehend in ihrem Versteck. Emma hatte ihr zwei gläserne Briefbeschwerer und eine blaue Katze aus Glas hinterlassen. Zu ihrem achten Geburtstag kaufte Rachaela Ruth mit einer bösen Vorahnung und dem Wissen um Unausweichlichkeit etwas auf dem Sonntagsmarkt. Einen Spiegel, der mit purpurnen Irisblüten, Pfauenfedern und Muscheln aus rosafarbenem, undurchsichtigem Glas besetzt war.
» Oh«, hatte Ruth gesagt. Sie hatte sich kühl bei Rachaela bedankt und den Spiegel in ihre Höhle geschleppt.
Die Pflanze, David, war gestorben, obwohl Rachaela sie an ein Fenster gestellt hatte. Ruth hatte begonnen, von ihrem gesparten Taschengeld falsche Lackblumen zu kaufen, und schließlich schaffte sie sich einen Vogelkäfig mit einem bemalten hölzernen Gitter an.
Wenn Rachaela einen kurzen Blick in den Bereich ihrer Tochter warf – die Wand war jetzt behängt mit seltsamen Drucken in ausgeschnittenen Rahmen und Ruths eigenen exotischen Werken, dem Spiegel, den Glöckchen und Umschlagtüchern, Blumen und Käfig; und es gab eine weiße Uhr über der Kommode, die nicht funktionierte – dann sah sie die Scarabae. Vielleicht hatte sie sie dazu ermutigt, vielleicht nicht. Ruth war eine lebende Pflanze, die befleckte Glasblüten hervorbrachte. Man konnte sie nicht ausschalten, so wie es Rachaelas eigene Mutter möglicherweise versucht hatte. Wie viel von den schattenhaften Scarabae mochte sie an ihrer Tochter entdeckt und durch Haarschnitt und Kreuze auf den Rosenkohl zu vergiften versucht haben?
Hinter den Fenstern, auf den Straßen, löste sich das bunte Glas der Jahreszeiten ab. Der entfernte Park war wie ein Kalender. Grün, gelb und braun fielen die Blätter von seinen Bäumen, die schwarze spinnwebenartige Kahlheit und eine weitere Eiszeit aus reinem Schnee.
Emma wurde niemals erwähnt.
Die Schule führte Ruth in Museen, Kunstgalerien und Gärten, einmal ans Meer.
Abends und an den Wochenenden saßen sie, bis auf die Musik aus der Stereoanlage und dem Bumm-Bumm aus der unteren Wohnung, schweigend zusammen.
Es war einfach doch unmöglich, die Anwesenheit des Kindes zu vergessen.
Jonquil war im Laden, als die junge Frau hereinkam. Sie war ungefähr zwei- oder dreiundzwanzig, hatte eine Brille und ein klares, junges Gesicht. Sie kam auf Rachaela zu.
» Mrs. Day?«
» Ja«, sagte Rachaela.
» Miss«, sagte Jonquil, » Missssss Day.«
» Oh, nun ja«, sagte die junge Frau. » Ich bin Miss Barrett aus Ruths Schule.«
» Was ist passiert?«, fragte Jonquil.
» Oh, nichts … nun ja, vielleicht doch. Aber … ich meine Ruth geht es gut. Es tut mir leid, dass ich Sie bei der Arbeit
Weitere Kostenlose Bücher