Schwarzer Tanz
habe vergessen, es dir zu zeigen. Habe ich den Schwanz richtig hingekriegt?«
» Oh ja. Er ist perfekt, Ruth. Sollen wir es zu den anderen hängen?«
» Ich möchte erst noch ein paar Muscheln und Seegras dazumalen.«
» Gut, mach das, und dann hängen wir es auf. Es wird eine recht hübsche Bildergalerie. Möchtest du in eine richtige Galerie gehen, Ruth, und die Gemälde dort ansehen?«
» Hast du dafür Zeit?«, fragte Rachaela.
Ein hoffnungsloser Zorn, eine Art Furcht riss an ihren Eingeweiden. Sie wollte, dass es vorbei war. Sie wünschte, Emma würde das Kind nach unten bringen, es dort erledigen. Es wäre gnädiger, sie mit einem Küchenmesser zu enthaupten. Würde Ruth schreien? In der Schule hatten sie gesagt, dass sie einen Schreikrampf bekommen hätte. Niemand wusste, warum. Emma vermutete, dass einige der anderen Kinder sie belästigt hatten, doch Ruth hatte den Grund selbst ihr gegenüber verschwiegen.
Emma hatte die Schule ausgesucht. Rachaela hatte nur an der richtigen Stelle unterschrieben. Am ersten Tag hatte Emma Ruth an das Schultor gebracht und war mit roter Nase zurückgekommen.
Doch das lag hinter ihnen.
» Ruth, Liebling, ich muss dir etwas sagen.«
» Was denn?« Das Kind blickte erfreut in Emmas überschattetes Strahlen.
Ruth war nicht hübsch, keine Maikönigin. Ihre Haut war schneeweiß und makellos, ihre Augen groß und leuchtend schwarz, umrahmt von dichten Wimpern. Ihre Gesichtszüge waren schon so früh klar ausgeprägt, das Kinn ruhte wohlgeformt über ihrem weißen Hals, von ihren blauschwarzen Haaren umrahmt. Ruths Haar war glatt wie ein schwarzer Wasserfall. Letztendlich doch etwas von ihrem Vater.
Schwer zu sagen, warum sie so unattraktiv war.
Im Einzelnen gesehen war das Gesicht wunderschön, fast ätherisch, doch im Ganzen war es weit entfernt von Schönheit. Und im Zorn – wenn ihr eine Zeichnung nicht gelang, wenn sie frustriert oder verwirrt war – war es ein bestialisches kleines Gesicht.
Bald würde es hässlich sein.
» Siehst du«, sagte Emma entschlossen, » meine eigene Tochter Liz, du erinnerst dich an Liz? Liz wird ein Baby bekommen.«
» Ja«, sagte Ruth ernstlich interessiert.
» Und Liz möchte, dass ich mich um sie kümmere. Und Liz lebt in Cheltenham, was sehr weit weg ist.«
Ruth nickte. Sie verstand.
Geschäftsmäßig fragte sie: » Wann fahren wir?«
» Oh, Liebling«, weinte Emma. » Oh, Liebling.« Und wusste nicht mehr weiter.
Rachaela übernahm: » Du wirst nicht mitgehen, Ruth. Emma muss gehen. Ihre Tochter braucht sie. Du musst hierbleiben.«
» Nein«, meinte Ruth vernünftig. » Ich werde mit Emma gehen.«
» Liebling, ich fürchte, das kannst du nicht. Du kannst nicht mit mir gehen. Ich wünschte, du könntest.« Emma schniefte.
Lügnerin, dachte Rachaela.
Ruth zeigte keine Gefühlsregung. Sie hielt das Seepferd hoch und starrte es an, als suchte sie in den Linien nach einer Antwort.
» Du musst hierbleiben«, sagte Emma, » und dich um Mami kümmern.«
» Nein«, sagte Ruth ruhig.
» Doch, Ruth. So soll es sein. Ich habe dich mir nur ausgeliehen. Es war so wundervoll. Und wir werden gute Freunde bleiben. Ich werde dir jede Woche schreiben, das verspreche ich. Ich werde dir alles über Cheltenham erzählen.«
» Nein«, sagte Ruth.
Sie hatte nicht geschrien.
» Und ich werde dich besuchen«, sagte Emma. » Und wundervolle Geschenke mitbringen.«
» Nein«, sagte Ruth.
» Und vielleicht kannst du mich eines Tages besuchen. Rachaela wird dich zum Zug bringen.«
» Nein!«, sagte Ruth.
» Oh Gott«, sagte Emma, » Liebling, du musst versuchen, zu verstehen. Es ist sehr schwer, das weiß ich. Ich werde dich schrecklich vermissen. Aber die arme Liz, ich muss gehen. Sie ist meine Tochter.«
Ruth schwieg.
Sie nahm ihr Bild mit zurück hinter ihre Wand. Die Glöckchen klingelten nicht.
Emma sah Rachaela an.
» Ich sollte jetzt besser gehen«, sagte Emma. Sie rieb sich die Stirn. Offenbar hatte sie Kopfschmerzen. » Wenn sie etwas von ihren Sachen will …«
» Wann fährst du?«, fragte Rachaela.
Ruth hörte bestimmt zu, hinter ihrer Wand.
» Sie hat gesagt, so schnell wie möglich. Brian wird mich vom Bahnhof abholen. Er hat gesagt, er würde sich um den Umzug kümmern. Liz ist ziemlich verzweifelt.«
Verzweifelt.
» In einem Monat?«
» Eher in vierzehn Tagen.« Emma zögerte. » Oh Gott«, wiederholte sie und verschwand.
Sie hatte nicht geweint. Natürlich. Worüber sollte sie weinen? Ruth hatte auch nicht
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