Schwarzer Tanz
gestern?«
» Da war es auch in Ordnung.«
Rachaela dachte an ihre Mutter, so viele Lektionen am Abendbrottisch. Mahlzeiten sollten sich nicht zu Kreuzverhören entwickeln.
Sie wendete langsam die Steaks.
Heute würden sie gemeinsam essen. Steak für beide; Kartoffelbrei, Tomaten und Erbsen für Ruth; Salat und Avocados für Rachaela.
Als das Essen fertig war, rief sie Ruth zu Tisch. Sie aßen schweigend, durch die Zeichnung getrennt, der Ruth, zwischen den einzelnen Bissen, ein oder zwei Striche hinzufügte. Auf dem Kopf wirkte die Zeichnung unheilvoll, eine öde Landschaft unter einem bewölkten Himmel, eine Bestie, die aus ihrer Höhle kroch.
» Was möchtest du jetzt, Kuchen oder Eiscreme?«
» Beides, bitte.«
Ruth war stets höflich. Doch sie war ein nimmersattes Kind. Selbst als Emma verschwunden war, hatte sich ihr Appetit nicht verringert. Sie blieb gertenschlank, doch hatte Rachaela in den letzten Wochen schon Ansätze von kleinen Brüsten erkennen können. Sie war erst neun. Man würde schon wieder alles neu kaufen müssen, einschließlich eines winzigen BHs. Würde Ruth das peinlich sein? Rachaela sah sie niemals im Bad.
Als die Mahlzeit beendet war, spülte Rachaela das Geschirr und machte Kaffee; Ruth zog sich hinter ihre Wand zurück.
» Hast du heute Hausaufgaben zu erledigen?«
Wieder die möglicherweise verwunderte Pause.
» Nein.«
» Würdest du eine Minute herkommen, Ruth. Ich möchte mit dir über etwas reden.«
Was würde Emma tun? Emma, mit all ihrer Erfahrung, hätte sich vielleicht keine Sorgen gemacht. » Es ist eine Phase, die sie alle durchmachen. Kannst du dich nicht mehr an deine erinnern? Kümmere dich nicht darum. Sie wird darüber hinwegkommen.« Ruth tauchte mit ihrer Zeichnung auf. Sie setzte sich erneut an den Tisch und malte geschäftig daran herum.
Rachaela sagte: » Erzähl mir von Terry Porter.«
Stille.
Schließlich antwortete Ruth: » Ich mag ihn nicht.«
» Warum nicht?«
» Er schreit mir immer solche Sachen nach.«
» Was für Sachen?«
» Dass ich keinen Vater habe. Dass ich aus einem Ei geschlüpft bin.«
» Natürlich hattest du einen Vater. Er lebt nicht bei uns, das ist alles. Emma hat es dir erzählt.«
Emmas Name wurde ignoriert.
Wie ekelhaft erfinderisch von Terry Porter, zu behaupten, dass Ruth aus einem Ei geschlüpft sei. Möglicherweise hatte er einmal von dem reproduktiven Zyklus gehört.
» Also warst du froh«, sagte Rachaela, » als Terry Porter sich verletzt hat.« Ruth schwieg. » Warum hast du die Wunde noch mehr aufgerissen? Um ihm Angst zu machen?« Ruth malte weiter. Die Landschaft hatte, wie alle Wüsten, ein vertrautes Aussehen.
» Bitte sag etwas, Ruth.«
Ruth sagte: » Es hat geblutet.«
» War es das, was dein Interesse geweckt hat?«
» Es war sehr rot.«
» Du hast schon früher Blut gesehen«, sagte Rachaela. Hatte sie das wirklich? Sie musste, sie war darin geboren worden.
» Es war sehr rotes Blut.«
Verbarg sich hinter dieser Feststellung ein ungestillter Hunger? Verbarg sich dahinter, um genauer zu sein, Durst und beginnende Sexualität?
Ruth schattierte den Bereich um ihre Bestie.
» Warum lebt mein Vater nicht bei uns?«
» Er wollte nicht.«
» Ich habe auch keine Großeltern.«
» Nein. Es tut mir leid. Nur wir beide.«
» Wollten sie mich auch nicht?« Die Frage war keine Anklage. Eine brutale Feststellung der Tatsachen.
Ich habe dich nicht gewollt. Ich will dich nicht. Du bist ein kleines Tier, das mein ganzes Leben durcheinanderbringt, das gefüttert und eingekleidet werden will, das in die Schule muss und Geschenke verlangt. Über das man sich Gedanken machen muss. Nicht liebenswert wie eine Katze. Haut und Haare und eine Stimme.
Aber die Scarabae hatten Ruth gewollt. Oh ja.
Sollte sie jetzt lügen? Sie versuchte, das Kind nicht so zu belügen, wie sie belogen worden war.
» Ich schätze, sie wollten dich, aber sie hatten keine Wahl.«
» Habe ich eine Oma?«
» Vielleicht.« War Anna, wie Rachaela den Verdacht hatte, wirklich Adamus’ Mutter?
» Aber sie sind weit weg.«
» Wie Emma«, sagte Ruth überraschenderweise.
» Viel weiter als Emma.«
» Sie schreiben mir nicht.«
» Nein.«
» Ich schätze nicht, dass sie mich wollen«, sagte Ruth.
Sie hatte Rachaela erfolgreich von dem Thema Blut abgelenkt. Rachaela sagte: » Wegen Terry Porter. Du darfst so etwas nicht noch einmal machen.« Ruth fragte nicht warum.
» Das verstehst du, nicht wahr? Du musst vorsichtig sein, damit
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