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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Mittagsgeschirr und warf einen Blick in den Kühlschrank. Für Ruths Essen an diesem Abend war Hähnchen geplant gewesen. Sollte sie es haben. Rachaela schüttete die Portionen in eine Schüssel und goss eine Dose Tomatensuppe darüber, um einen Auflauf zu machen. Sie stellte das Hähnchen in den Backofen.
    Das Radio bot entweder Oper oder Politik. Sie stellte es ab und legte eine Strawinsky-Kassette ein.
    Der Himmel überzog sich mit dem gelblich-schwarzen Licht der nächtlichen Stadt. Um neun Uhr dreißig war die Sauce gänzlich verdampft. Rachaela stellte den Backofen ab.
    Sie saß in der Stille der Wohnung, in der Ruths Schweigen fehlte. So spät war sie noch nie nach Hause gekommen. Wo war sie? In irgendeiner Hamburgerbude oder im Pizza Eater?
    Um zehn Uhr fünfunddreißig schaltete Rachaela das Deckenlicht an und ging hinter die Wand in Ruths Bereich.
    Auf den ersten Blick sah alles genauso aus wie immer.
    Rachaela untersuchte den Bereich sorgfältig.
    Das Bett war gemacht, auf Ruths ureigenste Art und Weise, unter der dunkelblauen Tagesdecke zusammengeklumpt. Der alte Bär, den Emma ihr gegeben hatte, saß würdevoll und unbeachtet in seiner Ecke. Bücher stapelten sich zu wackligen Türmen. An der Wand der bemalte Spiegel und die Bilder.
    Auf der Kommode fehlten der grüne Briefbeschwerer und die blaue Glaskatze. Rachaela betrat Ruths Bereich und quetschte sich bis zur Kommode durch. Sie öffnete die Schubladen. Kamm und Bürste waren verschwunden. Das Vampir-Make-up lag ebenfalls nicht mehr auf seinem Platz. Der blaue Pullover und die scharlachrote Bluse waren weg. Einige Hosen und Socken, Strumpfhosen, der zweite Büstenhalter, das neue Paket Binden – weg. Im Badezimmer fehlten Ruths Zahnbürste und ihr kleiner Deoroller.
    Rachaela verließ das Bad und setzte sich.
    Was fühlte sie? Wie zuvor, gar nichts.
    Sie war nicht überrascht. Natürlich hatte sie gewusst, was Ruth tun würde. Genauso, wie der Mann, der Agent der Scarabae, es gewusst hatte. Er musste nur warten.
    Rachaela hatte Ruth nicht nur wie gewohnt die kalte Schulter gezeigt, sondern dazu ein Feuerwerk des Missfallens und der Abneigung auf sie herabregnen lassen. Und Ruth hatte in der Nacht leise ihren Schulranzen gepackt und war gegangen, zu ihm. Und er hatte sie empfangen oder ihr einfach nur den Weg gezeigt. Zu den Scarabae.
    Was sollte sie jetzt tun?
    Nichts. Es gab nichts, was sie tun konnte.
    Es gab keine Ruth mehr. Die zwölf Jahre der Idiotie waren vorüber.
    Nach vier Tagen säuberte Rachaela die Wohnung. Sie staubte die Bücher ab, staubte dahinter ab, scheuerte den Herd und wischte die Küchenschränke aus. Sie leerte die Limonaden, die Pepsis und das Sprite in den Ausguss. In Ruths Bereich schob sie den Paravent in die Mitte des Zimmers und entfernte die Umhängetücher, Glöckchen und Blumen. Sie zog das Bett ab und steckte Ruths Schätze, nachdem sie das Glas sorgfältig eingewickelt hatte, ihre Bücher und den Bär in zwei Pappkartons aus dem Supermarkt und stellte sie unten in den Kleiderschrank. Ruth könnte nach ihren Sachen verlangen. Ihre Kleider, aus denen sie bald herausgewachsen sein würde, packte sie in Taschen für den Flohmarkt. Die Scarabae würden Ruth von jetzt an einkleiden müssen. Rachaela mochte den Paravent nicht, aber wie Ruths Bett war er zu groß, um ihn so einfach loszuwerden. Sie faltete ihn zusammen und stellte ihn in die Ecke hinter die Stereoanlage. Das Bett selbst überzog sie wieder mit der Mitternachtstagesdecke und fügte ein paar rotblaue Kissen hinzu.
    Sie räumte die Kommode aus und schob sie an die Wand.
    Der Raum wirkte viel größer, luftiger.
    Sie hielt keine Ausschau nach dem Mann. Er war inzwischen verschwunden.
    Am sechsten Tag ging sie zu Lyle und Robbins und fragte nach Arbeit, doch sie hatten keine freien Stellen. Der Pizza Eater wirkte total überbelegt, und die Mädchen und Jungs sahen extrem jung und lärmend aus. Es waren keine Stellen ausgeschrieben. Sie würde die örtlichen Zeitungen durchforsten müssen.
    Am siebzehnten Tag kam ein Brief von der Schule. Rachaela legte ihn beiseite.
    Sie saß in ihrem Sessel und hörte Musik.
    Ohne Ruth würde das Leben viel billiger sein. Vielleicht konnte sie eine gewisse Zeit überbrücken.
    Draußen vor dem Fenster war der vertraute Ausblick auf Dächer und Wohnungen, Schlote und Neonreklamen. In der Entfernung schimmerte durchsichtig der Park in lebendigem Grün. Es wurde allmählich heiß, und der Geruch nach Benzin, Geranien und

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