Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
Vom Netzwerk:
so viele von ihnen, war die Sippe der Scarabae wirklich so groß?
    » Der Zeitpunkt war jedoch nie der richtige«, meinte Anna. » Erst jetzt ist der Moment gekommen.«
    Sie stürzte das Granatrot in ihrem Fingerhut in einem Schluck hinunter, erhob sich und ging durch das Zimmer auf einen Türvorhang zu.
    Stephan sagte: » Wir werden dinieren«, und eilte ihr voraus, um den Vorhang beiseite zu schwingen und die Tür weit aufzureißen.
    Rachaela stand auf. Sie folgte ihnen wie ein gehorsames Kind. Als sie noch nicht einmal » geplant « gewesen war, waren diese beiden schon da gewesen und hatten Gott weiß was für ein Leben geführt.
    Rachaela hatte noch nie Kaninchen gegessen. Sie erzählten ihr, es wäre Kaninchenpastete, und fragten sie, ob sie etwas dagegen hätte, ob es in Ordnung wäre. Davor gab es eine einfache Tomatensuppe.
    Michael und Cheta bauten das Gemüse an, wurde ihr gesagt. Sie versuchten, so wenig wie möglich von der Stadt abhängig zu sein. Das Kaninchen machte ihr nichts aus, es schmeckte eigentlich gar nicht unangenehm, ziemlich mild, dachte sie. Sie fragte sich, wer die Kaninchen wohl jagte? Etwa Michael mit seinen seltsam starren, ausdruckslosen blinden Augen?
    Cheta servierte ihnen das Essen. Sie war das weibliche Abbild von Michael, trug ein gewöhnliches, dunkles Kleid mit einer Brosche am Kragen. Die weißen Steine darauf sahen echt aus. Ihr graues Haar war tief in ihrem Nacken zu einem Knoten zusammengebunden, als wollte sie damit ihre Unterwürfigkeit zum Ausdruck bringen, und ihre Schuhe waren flach. Ihre Augen waren genau wie Michaels.
    Er und Cheta waren zwar noch nicht so alt wie Anna und Stephan, doch auch sie waren alt und wirkten modrig wie ein verstaubter Dachboden. Sie waren Anna und Stephan in weltlicher Ausgabe.
    Kerzen beleuchteten den langen Tisch, auf dem nur drei Gedecke lagen. Darüber hing ein unbeleuchteter, zerbrochener Kristalllüster, in dessen Glas sich die Flammen des Kaminfeuers spiegelten. Auf dem Kaminsims stand eine goldene Uhr, sie tickte nicht, wahrscheinlich stand sie schon seit Jahrzehnten still.
    Das Mahl war tatsächlich sehr einfach. Nach der Pastete, die mit vermutlich selbst gezogenen Karotten und gebratenem Kohl serviert wurde, gab es ein Dessert aus geschnittenen Früchten in irgendeinem alkoholhaltigen Saft. Dann eine Käseplatte und von Cheta und einer unsichtbaren Maria gebackene Kekse.
    Welche familiäre Beziehung Anna und Stephan wohl verband? Waren sie auch mit den Bediensteten verwandt, da sich alle Gesichter irgendwie ähnelten? Auf Rachaela wirkten sie nahezu beunruhigend vertraut. Hieß das, dass sie auch bei sich selbst diese Ähnlichkeit feststellen konnte? Eine solch intime Frage wollte sie jedoch nicht stellen. Die Fragen vorhin waren schon schwierig genug für sie gewesen.
    Und sie hatten nicht geantwortet, vielleicht gab es aber auch in Wirklichkeit keine Antwort. Vielleicht hatten sich ihre ältlichen Herzen nur nach ihrer Jugend gesehnt. Sie waren von ihr fasziniert. Das konnte sie sehen. Die kleinen, nur aufs Essen bezogenen Fragen, die sie ihr abwechselnd stellten – was sie am liebsten aß, ob sie noch Salz benötigte –, drangen in sie ein, wie blanke Münzen in einen Spielautomaten, um ihr Reaktionen zu entlocken. Sie fixierten sie mit ihren scharfen, grausamen Augen, als wollten sie sie bei lebendigem Leib verschlingen. Sie musste einfach nur da sein, um ihnen als Nahrung zu dienen.
    Sie aßen das Kaninchen mit verwöhnten, scharfen Bissen. Die Konversation war seicht. Sie schienen nicht sonderlich gesprächig und waren einzig zum Essen heruntergekommen.
    Als Stephan sich von dem höchstwahrscheinlich in der Stadt gekauften Käse nahm, raschelte ein Vorhang, eine Tür öffnete sich, und ein weiterer dünner, alter Mann schwebte schwerelos und praktisch geräuschlos in das Zimmer. Er überquerte den Teppich und glitt an den Tisch, jedoch nicht um zu dinieren. Mit leicht vorgerecktem Hals starrte er gierig auf Rachaela.
    » Eric, das ist Rachaela«, stellte Anna sie vor. Eric hatte Annas und Stephans Augen. Sein verknittertes Mumiengesicht zeigte keine Regung, die dünnen, spröden Lippen öffneten sich nicht.
    Eric ließ ein winziges Geräusch hören, beinahe wie ein Schluckauf, und schwebte durch einen anderen Vorhang, der in einen Garten zu führen schien, hinaus.
    » Du musst dir nichts draus machen«, meinte Anna. » Wir sind nicht alle geschwätzig. Eric ist ein Denker, er liest.«
    Der Türvorhang bewegte sich erneut,

Weitere Kostenlose Bücher