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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Korridoren, fand verschlossene Türen vor, öffnete andere, die nicht versperrt waren. Sie spähte in verschwenderisch ausgestattete Gemächer und entdeckte auf diese Weise zwei alte Männer, die unter einem Fenster mit weißblauen Engeln in ein Schachspiel vertieft waren. Die dürren Finger ihrer blau geäderten Hände erstarrten über dem Brett. Zwei uralte Mumiengesichter bewegten sich wie rostiges Uhrwerk.
    » Sie ist es«, bemerkte ein altes Gesicht.
    » Sieh nur, ihr Haar«, meinte das andere.
    Sie war kein Eindringling, sondern ein Ausstellungsstück. Sie ließ die beiden allein und schloss die Tür. Auch an anderen Orten traf sie auf die Scarabae oder ihre Spuren. Einige von ihnen begrüßten sie höflich, ihre scharfen Augen fraßen sich in sie hinein, einer oder zwei ignorierten sie und trotteten, irgendeine verrückte Mission verfolgend, weiter durch das Haus. Sie hatte sich an diese seltsamen Begegnungen gewöhnt. Ihre Namen spielten keine Rolle, obwohl eine von ihnen sich an ihre Seite stahl und flüsterte: » Ich bin Miranda, und du bist Rachaela.«
    Da sie alle nur Teilstücke eines Ganzen darstellten, würde der Kollektivname, Scarabae, wohl ausreichen.
    Sie erinnerten sie jetzt an Insekten, mit ihrer staksigen, aufrechten Haltung und ihren knochigen, flinken Händen. Eigentlich war es auch nicht schlimmer, als in irgendeinem obskuren Altersheim wohnen zu müssen.
    Besser noch, da sie ja alle unabhängig und imstande waren, auf sich selbst achtzugeben. Einer von ihnen, ein Interessierter, verfolgte sie, dessen war sie sich sicher. Er schlich hinter ihr her und verschwand hastig in irgendeinem leeren Zimmer, wenn sie sich umdrehte.
    Das gefiel ihr gar nicht, doch was sollte man schon anderes von ihnen erwarten.
    Der Bauplan des Hauses entbehrte jeglicher Logik. Es war ein bewegtes Kaleidoskop aus fleckigem Glas und schwarzen Schatten. Die Räume waren bei Tage wesentlich dunkler als während der Nacht.
    Jede Uhr im Haus gab eine andere Zeit an. Jeder Spiegel war verstümmelt und seinem wahren Zweck entfremdet.
    In einem Korridor befand sich ein Spiegel aus klarem Glas, das mit einer ebenso künstlerischen wie pedantisch gestalteten Szene aus Hainen, Springbrunnen, Wiesen und Hügeln bemalt war. In einem ordentlichen Stapel neben dem Spiegel lag das Werkzeug des Künstlers: ein Farbenkasten, eine Palette, Pinsel, Terpentin, Lappen.
    Sie hatte auch schon andernorts Gemälde bemerkt, sie jedoch nicht eingehender studiert. Auf einem von ihnen schien ein Ziegenbock aus einem beschürzten Frauenleib zu lugen.
    Es ist also nichts sicher hier, kein Tag, keine Zeit, kein Ebenbild im Spiegel.
    Es war tatsächlich ein Irrenhaus.
    Da ihr jeglicher Zeitbegriff verlorengegangen war, ließ sie sich einzig von einem vagen Hungergefühl leiten. Sie fand den Weg ins Esszimmer, auf dem langen Tisch lagen zehn Gedecke, und zehn Mitglieder der Sippe saßen schon davor. Sie alle blickten auf, als sie das Zimmer betrat.
    Es waren sechs alte Frauen in altertümlichen Gewändern und vier alte Männer in altmodischen, muffigen Jacken. Alle waren Ebenbilder von Anna und Stephan: dichtes Haar, zurückgekämmt oder mit Haarnadeln auf dem Kopf aufgetürmt. Beringte Finger arbeiteten sich durch kalte Kaninchenpastete und Salat. Rachaela erkannte Kleider und Juwelen, die ihr auf ihrer Wanderung durchs Haus begegnet waren; es war ihr jedoch unmöglich, die Gesichter und Frisuren auseinanderzuhalten.
    Konnte es wahr sein, dass all diese alten Frauen eine hundert Jahre ältere Ausgabe ihrer selbst waren?
    Sollte sie sich hinsetzen und mit ihnen die Reste verspeisen?
    Für Rachaela war kein Gedeck aufgelegt worden, doch eine Frau in dunklem Gewand – ihre Augen blind und verschleiert, ihr Haar tief im Nacken verknotet, und doch nicht Cheta, es musste wohl Maria sein – war gerade dabei, diesen Fehler auszumerzen und ein weiteres Gedeck am Kopfende des Tisches aufzulegen.
    Rachaela setzte sich.
    Die Sippe beobachtete jede ihrer Bewegungen, sah ihr stumm dabei zu, wie sie eine Scheibe Pastete, einige Tomaten und grünen Salat nahm.
    Dann tönte eine der alten Frauen, es war Miranda, mit quäkender Stimme: » Wir sollten nicht so starren.« Und widerwillig wandten sie den Blick wieder ihren Tellern zu und aßen weiter mit den flinken, schnappenden Kaubewegungen Annas und Stephans.
    Rachaela versuchte erst gar nicht, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Das Ganze war ohnehin nur eine schreckliche Farce.
    Sie glaubte nicht, dass sie

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