Schwarzer Tanz
um es mir zu erzählen, oder?«, fragte er. » Ich weiß es.«
Einer der anderen war nach oben geklettert, um ihm die Neuigkeit zu überbringen.
» Sylvian«, sagte sie.
» Zerstörer von Büchern.«
Auch bei Camillo gab es kein Anzeichen von Mitleid oder Furcht. Das hatte sie auch nicht erwartet. Sie hatte aber irgendeine Reaktion erwartet.
» Keiner von euch fühlt etwas«, sagte sie. » Es ist nichts Besonderes. Ich dachte, ihr wäret alle Teil eines Ganzen.«
» Ja«, sagte Camillo. » Eine Blüte. Ein Blütenblatt ist abgefallen.«
Im Halbdunkel konnte sie erkennen, dass er Sylvians Lineal vor sich hatte. Weiß auf schwarz kratzte er ein Bild in das Ebenholz.
» Und die Beerdigung«, sagte Rachaela.
» Du solltest dich darauf freuen.« Camillo gab dem Schaukelpferd einen Stoß, und es setzte an zu einem stetigen, rollenden Galopp.
» Hoffe, es wird dir gefallen.«
» Glaubst du?«
» Pferdchen, flieg wie der Wind.«
Sie wollte eigentlich mit ihm über Adamus sprechen, doch was sollte sie sagen?
» Warum sind die Scarabae, wie sie sind, Camillo?«
» Sind sie das? Wie sind sie denn?«
» Nicht einmal ein Arzt, wenn ein Mann stirbt.«
» So alt wie Krümel in den Ritzen des Lebenssessels. Modrig. Aber nicht so alt wie ich. Willst du wissen, wie alt ich bin?«
» Du kannst dich nicht daran erinnern.«
» Manchmal schon.«
» Aber heute nicht«, sagte sie.
Er gackerte. » Nein, heute nicht.«
» Was werden sie mit Sylvian machen?«
» Irgendwas.«
Sie zögerte.
» Wird Adamus aus seinem Versteck kommen, um dabei zu sein?«
» Das glaube ich nicht«, antwortete Camillo. » Als Adamus noch ein Kind war, hat Sylvian damit angefangen, die Bücher durchzustreichen. Adamus hat versucht, ihn davon abzuhalten. Es kam zu einer Szene in der Bibliothek. Ein Kind, das einen alten Mann anbrüllte. Anna hat eingegriffen. Sie war zu der Zeit manchmal noch tagsüber unterwegs.«
» Adamus mochte die Bücher.«
» Damals.«
» Was mag er jetzt?« Sie schüttelte sich.
Aber Camillo antwortete nur: » Frag ihn selbst.«
» Ich habe vor, ihm aus dem Weg zu gehen.«
» Dann geh ihm aus dem Weg.«
Er kratzte ein Skelett in das Lineal.
» Du willst mir nichts erzählen.«
» Hü, Pferdchen, Hü.«
» Ist das Sylvian, den du da malst?«
» Irgendjemand«, sagte Camillo. » Berühr dein Gesicht, und du kannst die Schädelknochen unter deiner Haut fühlen.«
» Ich weiß.«
» Also bist du in Ordnung.«
» Nein, Camillo. Camillo …«
» Pferdchen, hottehü!«
Rachaela verließ ihn und ging zurück in ihre Kammer.
Sie betrachtete die Versuchung der Eva. Was war so verlockend an einem Apfel?
Als Anna und Stephan das Zimmer betraten, wartete Rachaela angespannt darauf, dass die anderen hinter ihnen eintreten würden, so wie sie sich zu dem merkwürdigen Mittagessen versammelt hatten. Doch niemand sonst erschien. Es war ein Abend wie jeder andere.
Michael servierte die Drinks und verließ sie wieder.
» Anna«, sagte Rachaela. » Was werdet ihr tun? Wird Cheta ins Dorf gehen, um ein Telefon ausfindig zu machen?«
» Du musst dir keine Gedanken darüber machen«, antwortete Anna.
» Man wird sich darum kümmern«, fügte Stephan hinzu.
» Aber ihr werdet einen Arzt brauchen, der die Todesurkunde ausstellt. Wann wird Cheta gehen? Morgen?«
» Cheta wird morgen zu den Ferienhäusern gehen. Der Lieferwagen kommt.«
» Und sie wird einen Arzt rufen?«
» Rachaela«, sagte Anna, » mach dir darum keine Sorgen. Es wird alles erledigt. Versteh doch. Dies ist früher passiert, und es wird wieder passieren. Wir sind alt. Wir sterben.«
Annas Gesicht war heiter, ihre Stimme einschmeichelnd. Überzeugend und gewinnend, hatte Adamus gesagt. Sie lächelte zum Trost für ein verdrießliches Kind.
» Nein«, sagte Rachaela. » Ich verstehe das nicht. Diese völlige Gleichgültigkeit …«
» Er ist von uns gegangen«, sagte Anna.
» Er ist von uns gegangen«, sagte Stephan.
» Er ist oben in seinem Zimmer«, sagte Rachaela, » in dem grauen Schlafzimmer mit dem brutalen Fenster. Etwas muss mit ihm geschehen.«
» Natürlich, natürlich. Warum so ungestüm? Wir sind es gewohnt, uns um so etwas zu kümmern.« Anna seufzte.
» Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie viele wir verloren haben? Auch Junge.«
» Die Jungen sind das schlimmste. Eine Verschwendung«, sagte Stephan und nahm einen Schluck von seinem schwarzen Gebräu. Er blickte in die Flammen.
» Doch Sylvian hatte ein langes, erfülltes
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