Schwarzer Tanz
um an so etwas teilzunehmen.
Würden sie sie zurückschicken? Flehen oder drohen?
Als sie die Treppe hinabstieg, drehte Livia ihren eisgrauen Kopf; Miriam und Jack funkelten sie mit ihren klugen Rattenaugen an. Niemand sprach ein Wort. Sie gehörte zur Familie. War kein Teil von ihnen, aber auch nicht ausgeschlossen. Eine Zeugin.
Sie gingen durch die Halle ins Wohnzimmer. Das Feuer war aus. In den unteren Räumen war es kalt. Hinaus in die Schleuse des Wintergartens. Carlo lief voraus. Er trug etwas, das Rachaela nicht sehen musste, um es identifizieren zu können. Sie bahnten sich ihren Weg durch die hoch aufragenden Pflanzen. Dieses Mal fielen Blütenblätter zu Boden. Rachaela erinnerte sich daran, was Camillo ihr erzählt hatte, die Blüte … Die Nacht war eisig und bis auf das Rauschen der See fast schmerzlich still.
Die Flut war gekommen, der Mond stand hoch am Himmel. Möglicherweise hatten sie auf diese Erscheinungen ebenso gewartet wie auf das Eintreffen der Nacht. Sie beobachtete, wie sie den Pfad entlanggingen, auf dem die unzeitgemäßen wilden Blumen wuchsen.
Sie hielt ein wenig Abstand zwischen sich und dem Letzten von ihnen; momentan war es Miriam.
Sie umrundeten die Klippe, stiegen den Pfad am Wald entlang hinunter, und wandten sich erneut seewärts. Sie befanden sich auf den glitschigen Stufen. Leicht ist der Abstieg zum Avernus … Diese uralten, zerbrechlichen Körper auf den schlüpfrigen Stufen. Sie hielt für sie den Atem an, doch sie zögerten nicht, drängten sich an den Abgrund.
Und jetzt bückte sich Carlo. Sie sah ein Seil, das heruntergelassen wurde, und etwas schlug dumpf gegen die Felsen. Sie hatten den Körper von Sylvian festgebunden und ließen ihn vor sich den Steilhang hinuntergleiten. Er streifte die Felsen wieder und wieder, ein Geräusch, das Rachaela das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Sie stellt sich vor, wie sie die Leiche ihrer Mutter bis zur Müllhalde hinter sich herzerrte, und ihr wurde übel. Doch sie ließen Sylvian zum Strand hinunter, zum Meer. Was hatten sie dort mit ihm vor? Ihn dem Ozean übergeben wie einen Wikinger?
Die alten Männer und Frauen begannen ihren Abstieg an der Klippe entlang. Sie platzierten ihre Schritte sorgfältig, doch ohne extreme Vorsicht. Sie stolperten und rutschten nicht, sondern schlängelten sich so geschmeidig bergab wie Würmer.
Keiner von ihnen hatte sich für eine Beerdigung angemessen gekleidet. In dem blauweißen Licht des Mondes wirkten ihre Mäntel wie mit bunten Schals und Tüchern umwobene Flicken. Alices Hut mit samtigen Veilchen, Miriam trug ein Barett aus weißem Pelz.
Rachaela verspürte Furcht. Ängstlich lief sie mit unsicheren Schritten den Fels hinunter, krallte sich an Vorsprünge, riss sich die Hände auf, brach einen Nagel ab.
Die anderen schwirrten längst über den Strand, als sie erst die Hälfte des Abstiegs geschafft hatte.
Sie hielt an und starrte auf sie hinunter. Sie zwang sich weiterzugehen. Ihre hexenhaften Stimmen drangen plötzlich zu ihr empor, und sie hielt erneut inne, klammerte sich an die Klippen, ihre Füße suchten festen Halt.
Was machten sie da?
Einen Moment lang wankte das Bild vor ihren Augen und bauschte sich auf wie ein Segel im Wind.
Rachaela hielt sich an der Klippe fest und holte dreimal tief Atem. Sie konnte nicht weiter hinuntergehen. Sie öffnete die Augen und sah die kleinen Gestalten geschäftig umherkrabbeln wie Ameisen in Zucker.
An den Felsen der Bucht lehnte die trunkene Galionsfigur des Wassermannes und wartete auf Camillo. Carlo und Michael kletterten darauf zu.
Der Körper von Sylvian ruhte ausgestreckt auf dem Sand, genauso wie er auf dem Boden im Haus gelegen hatte. Die Scarabae kamen und gingen, brachten ihm Gaben, die sie am Meeresufer aufgeklaubt hatten.
Sie musste näher herankommen.
Rachaela ging noch vier Schritte und blieb wieder stehen, wie festgefroren. Der Mond hatte die Stufen noch glitschiger werden lassen, wie mit Wasser besprüht. Sie würde wieder hochsteigen müssen, ihnen voran.
Vorsichtig ließ sie sich zur Seite gleiten und erreichte einen Felsvorsprung. Ihr Körper zitterte vor Erschöpfung, und ihr Mund war wie ausgetrocknet.
Sie konnte sie hören und sehen, doch sie waren zu weit weg, und sie konnte sie nicht verstehen.
Die Gaben wurden nun um Sylvian herum angehäuft. Cheta, Jack und George legten Sachen aus einem Sack darauf, und daneben ragte ein schwarzes Rechteck in den Himmel, obenauf das Licht des Mondes.
In der
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