Schwarzer Tanz
unterhalten. Weiche Kadenzen mit stürmischen, unterschwelligen Tönen, die sich in schnellen Akkorden auflösten. Die Melodie wanderte über die schwarz-weiße Fläche.
Sie drehte ihren Sessel herum, um ihn beobachten zu können. Seine Hände, von der Musik völlig in Besitz genommen, bewegten sich mal langsamer, mal schneller. Seine Rückenmuskeln wogten unter dem dunklen Hemd, und seine lange Haarflut bewegte sich im Rhythmus zur Musik.
Sie schien seine Aura sehen zu können. Sie war kalt und blass wie Stahl, die Essenz seiner Dunkelheit. Wie es wohl wäre, hinter ihm zu stehen, seine Schultern und seinen Nacken unter dem wallenden Haar leicht zu berühren? Diese Macht zu spüren, mit der seine Hände und sein Körper durch seine Haut mit ihr sprachen?
» Adamus«, flüsterte sie atemlos.
Das Stück endete oder verwandelte sich zu einer neuen Melodie. Die Töne waren beißend, das Tempo rasend. Ihr Herz klopfte so schnell, dass es fast schmerzte.
Wer war er?
Ein kurzer Blick auf sein Profil, seine Züge wandelten sich mit den Wellen der Melodie. Sein Gesicht war ernst und starr, seine Augen brannten, und seine Lippen bewegten sich. Nichts als Ärger und Verzweiflung standen ihm ins Gesicht geschrieben. Nur einmal hatte sie ein solches Gesicht vor Augen gehabt, nicht rein und gut aussehend wie dieses, sondern in einem hell erleuchteten Raum um zwei Uhr morgens: das Gesicht eines Verrückten, der nichts wahrnahm, kein Flehen oder Drohen, bis es sinnlos geworden war, etwas anderes zu tun, als still dazuliegen und daran zu denken, wann es vorbei sein würde. Zerrissen und geschunden unter der hässlichen Gewalt. Dieses Gesicht war so anders, und doch erinnerte sie es daran, das Gesicht eines Reiters in der Nacht.
Sie fuhr voller Angst hoch.
» Hör auf.«
Er hob augenblicklich die Hände von den Tasten. Er drehte sich um. Die Luft zwischen ihnen bebte. » Was ist los?«
» Ich weiß es nicht.«
» Du weißt es«, widersprach er. Mit ihr nur halb zugewandtem Gesicht befahl er: » Sag es mir.«
» Es … macht mir Angst«, stieß sie hervor, bevor sie die Worte zurückhalten konnte.
» Ja«, antwortete er.
» Die Musik führt an einen Abgrund, und ich will nicht hinunterstürzen.«
» Wir haben keine Wahl. Wir müssen uns fallenlassen.«
Ihre Hände verkrampften sich ineinander, und er erhob sich von dem Klavierhocker. Er kam auf sie zu. Es schien, als würde er alles Licht vom Fenster aussperren. Sie war in einem See aus Gold, Braun und Honig, und seine Dunkelheit breitete sich über ihr aus. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, sah nur zwei brennende Augen, schwarzes Feuer.
» Nein!« Sie trat einen Schritt zurück.
Der Kamin mit seiner ungezähmten Hitze lag hinter ihr. Gefangen zwischen dem Teufel und der versengenden, roten Flamme.
Er streckte die Arme aus, und die Dunkelheit drohte, sie zu verschlingen. Seine Hände fühlten sich an wie zwei glühende Kohlen auf ihren Armen, als er sie von der Flamme zurückzog.
» Du wirst fallen.«
» Du hast gesagt, wir hätten keine andere Wahl«, sagte sie.
» Rachaela, hör auf dich zu wehren. Du wirst dir wehtun.«
» Du wirst mir wehtun.«
» Wahrscheinlich.«
» Lass mich los.«
Er zog sie an sich. Ihre Brüste berührten ihn, seinen harten, flachen, maskulinen Oberkörper, wie eine Rüstung aus Fleisch und Blut. Jetzt brannte die Flamme genau an dem Punkt, an dem sich ihre Körper trafen. Der Raum fing an, sich langsam zu drehen. Sie ertrank in dem See, und er allein konnte sie retten, nur er konnte sie herausziehen …
Sie schlug mit der Faust auf ihn ein.
Sie hatten sich getrennt. Zwei Meter lagen zwischen ihnen.
» Und was nun?«, fragte er.
» Nichts. Was hattest du denn erwartet, Vati?«
» Das glaubst du doch nicht.«
» Ich weiß nicht, was ich glaube. Hier scheint alles möglich.«
» Das ist wahr.«
Sein Gesicht war ausdruckslos. Wie in all ihren Träumen, war er nahezu gesichtslos. Die Augen trübe Farbkleckse. Die Lippen schmal und streng.
» Ich werde gehen«, sagte sie. » Ich werde gehen, und ich will dich nie mehr sehen. Ich werde einen Stuhl vor meine Tür stellen. Und wenn du hereinkommst, werde ich gegen dich kämpfen. Ich werde dich töten.«
» Ich werde nicht in dein Zimmer kommen. Arme Rachaela. Wo sonst könntest du dich verstecken?«
Sie wandte sich um und verließ den Raum mit vorsichtigen Schritten. Sie lief die Treppe hinunter. Der schreckliche Korridor vor der Tür schien angefüllt mit irgendeinem
Weitere Kostenlose Bücher