Schwarzer Tanz
schmutziggrünes Becken. Da waren die verrosteten Autos, die Felder und die Steinhäuser. Wie beim ersten Mal hatten Cheta und Carlo kein Wort gesprochen.
Rachaela konnte nicht anders, sie musste sie fragen. » Ist der Lieferwagen heute da?«
» Oh, ja. Er kommt immer an demselben Tag.«
Und Rachaela erkannte, dass sie über ihrem listigen Bemühen, die Zeit in Minuten und Stunden, Nachmittage und Morgen einzuteilen, die Tage vergessen hatte.
Was für ein Tag war heute? Wenn sie Cheta fragte, würde sie eine Antwort bekommen? Rachaela konnte sich nicht zu einem Versuch durchringen.
Sie liefen die Straße entlang und kamen an dem trostlosen Gasthaus vorbei.
Der blaue Lieferwagen stand mitten auf dem freien Platz genau wie beim letzten Mal. Und im Hintergrund war die zerstörte Telefonzelle.
Wie gewöhnlich war niemand sonst erschienen.
Im rückwärtigen Teil des Lieferwagens las der fette Mann in einer Zeitung. Er schien tatsächlich auf Cheta und Carlo zu warten. Die dünne Frau strickte etwas pinkfarbenes Flauschiges. Rachaela betrachtete die beiden. Sie registrierte den Trauring zwischen den Frostbeulen und erkannte, dass die Augen der Frau von einem verwaschenen Jeansblau waren. Aus der Nase des Mannes stakten schwarze Haare, und unter seinem Anorak trug er einen Pullover, den wahrscheinlich seine Frau gestrickt hatte.
» Da sind Sie ja«, sagte der Mann, wie schon zuvor. » Hatte schon fast nicht mehr mit Ihnen gerechnet heute. Was kann ich für Sie tun?«
Cheta reichte ihm ihre Liste. » Und die Dame wird auch einige Dinge benötigen.«
» Nein«, sagte Rachaela. » Ich brauche heute nichts.«
Sie warf dem Mann, der sie überrascht beäugte, ein gezwungenes Lächeln zu.
» Fahren Sie noch weitere Orte an?«
» Das ist der letzte für heute«, antwortete der Mann. » Dann geht’s zurück in die Stadt, und erst mal die Füße hochlegen.«
Die dünne Frau schniefte. » Und dann fängt meine Arbeit an.«
» Die Arbeit einer Frau ist nie beendet«, meinte der Mann, offensichtlich zufrieden mit dieser vor jahrelanger männlicher Eitelkeit und Drückebergerei strotzenden Aussage.
Die Ölkanister wurden für Carlo hervorgeholt, und etwas Benzin. Natürlich, sie hatten ja auch eine Menge Benzin für Sylvian aufgebraucht.
Als sie sah, wie Carlo die Kanister herunterhievte, erinnerte sich Rachaela daran, wie er den Wassermann von den Felsen gehoben und zum Strand gezerrt hatte.
Cheta belud ihre Taschen mit Seife und Waschpulver, Mehl und Haferflocken. Sie fragte: » Haben Sie den Brandy mitgebracht?«
» Konnte nur eine Flasche kriegen. Ist nur ein Schlückchen.«
Der Mann quetschte sich in den rückwärtigen Teil des Lieferwagens, schob seine strickende Frau beiseite wie eine Schachtel Cornflakes und kehrte mit der schwarzen Flasche zurück. Stephans Getränk. Zweifellos auch für einige andere der Trostspender. Die Scarabae tranken nicht viel, doch sie fanden Gefallen an ihren kleinen Erquickungen.
» Hab’ auch ein paar Bücher für die werte Dame«, tönte der Mann und überreichte Cheta ein Päckchen, das auf altmodische Art mit Schnüren zusammengebunden war.
Cheta zog das Bündel brauner Noten hervor.
Rachaela dachte an den Umschlag mit den braunen und türkisfarbenen Banknoten in ihrer eigenen Tasche.
» Wäre es möglich, dass Sie mich in die Stadt mitnehmen?«, fragte Rachaela mit fröhlicher, unschuldiger Stimme, ein plötzlich gefasster Entschluss.
Cheta versteifte sich an ihrer Seite, unmöglich zu erkennen, weswegen … Erstaunen, Schrecken oder Drohung.
» Nun … Dies ist nur ein kleiner Lieferwagen.«
» Ich werde gerne dafür bezahlen.«
Wie sie erwartet hatte, reizte ihn das leicht verdiente Geld.
» Was sagst du, René? Sollen wir dem Mädchen helfen?«
René faltete ihre Strickarbeit zusammen. » Ich hab’ nichts dagegen.«
» Bis später«, sagte Rachaela zu Cheta, fröhlich und unschuldig – eine Lüge.
Cheta und Carlo standen am Abhang, sagten kein Wort und rührten sich nicht, ihre leeren Gesichter und trüben Augen fixierten sie ruhig. Sie hatte sich darauf verlassen, dass sie vor dem Lieferwagenfahrer und seiner Frau keine Szene machen würden, und damit Recht behalten.
Die Leichtigkeit, mit der ihre Flucht verlief, stieg ihr zu Kopf. Sie setzte sich auf den langen Vordersitz neben René, die angewiesen wurde, sich › etwas kleiner zu machen ‹ . Der Lieferwagenführer schloss die Schiebetür und schob sich neben sie auf die Fahrerseite.
Es würde keine
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