Schwarzer Tanz
vor Freitag.«
Sollte sie ihn fragen, was für ein Tag heute war? Nein.
» Und wo ist der Bahnhof?«
» In der Wagon Street. Über den Fluss bei St. Bees.«
Sie war sich ebenfalls sicher, dass er Biene gesagt hatte, als wären alle Namen hier aus einem Spielzeugland, dazu erdacht, die Menschen zu verwirren und zu verspotten.
» Und das ist die Kirche dort drüben.«
» Ja, Madam.«
» Ich versuche schon die ganze Zeit, zu dieser Kirche zu kommen.« Spielte das noch eine Rolle? Ja, sie musste ein Ziel haben.
» Sie gehen da hinunter, dann beim Baker’s Arms nach links und stoßen direkt darauf.«
» Danke.«
Sie glaubte ihm nicht.
Aber er würde sie vielleicht beobachten, also lief sie zunächst einmal in die beschriebene Richtung.
Die Art, in der er von › Freitag ‹ gesprochen hatte, beinhaltete eine lange Wartezeit. Aber der Lieferwagen würde das trostlose Dorf doch sicher nicht an einem Sonntag, dem Tag der Ruhe, aufsuchen? Das endlose Gemurmel über Rinderbraten war Gier, nicht Anzeichen für ein Sonntagsessen gewesen. War es also Montag? Die Menschenmasse war dicht, weiblich und männlich, oftmals träge, und es war jetzt ein Uhr, früher Nachmittag.
Samstag?
Sie erreichte Baker’s Arms, einen krokodilgrünen Gasthof, in dem die Lichter von Spielautomaten flackerten. Eine schmale Allee führte zu einem Platz mit Kopfsteinpflaster. Das schien zu passen. Sie lief darauf zu. Am Ende der Straße wurde der Platz breiter, umrahmt von noch kunstvoller gestalteten, niedlichen Geschäften, die vor Raritäten und flauschigen Spielsachen überquollen.
Die Kirchen-Kathedrale blickte über das Kopfsteinpflaster hinweg auf das Moderne; ein sandsteinfarbenes Gebäude, durchsetzt mit Schnitzereien und gespickt mit seltsamen Ungeheuern, die sich von ihren hohen Plätzen herab gefährlich dem Erdboden zuneigten.
An der anderen Seite des Platzes stand ein Hotel. Es sah zu vornehm aus und würde zu viel kosten, doch es brachte sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie würde sich bis zur Abfahrt eine Bleibe suchen müssen.
Das wäre also erledigt; ihr Plan verzögerte sich zwar, aber er war nicht gescheitert.
Um vier Uhr hatte Rachaela ein kleines Hotel ausfindig gemacht, das Übernachtung und Frühstück anbot. Es lag in einem Straßengewirr hinter der Kirche, ein weiß getünchtes, georgianisches Gebäude, das ein weiteres Symbol ihres Ziels darstellte: London. Als sie es endlich gefunden hatte, war sie bereits am Ende ihrer Kräfte. Ausgehungert und zum Umfallen müde, ließ sie sich auf das schmale, kleine Bett sinken und blieb mit geschlossenen Augen liegen.
Sie hatten sich geweigert, ihr ein Sandwich zu machen; es gab nur Frühstück aufs Zimmer, zwischen halb acht und neun Uhr morgens. Es wurde allmählich dunkel, und der strahlende Tag verschwand hinter einer bleiernen Wolke. Von ihrem Fenster aus blickte Rachaela auf einen Hof, einige Abwasserrohre, und ein mit einem weißen Vorhang verschleiertes Fenster gegenüber, das offensichtlich denselben Ausblick bot, wie ihr eigenes: Hof, Rohre, Fenster.
Das war nebensächlich. Sie hatte das Datum aus dem Eintragungsbuch des Hotels erfahren. Es war Dienstag. Also würde sie dies hier nur zwei Tage ertragen müssen. Dann in den Zug nach Fleasham und so nach Purrli oder wie diese Stadt hieß, und von da zur Hauptstadt. Wo sie sich auf ewig unsichtbar machen musste für die Scarabae mit ihren exzentrischen und intimen Einäscherungen von Leichnamen an der Küste. Vor allem unerreichbar für den Mann, der behauptete, ihr Vater zu sein und dessen eigenes schwarzes Feuer sie versengt und auf diese Flucht geschickt hatte.
Sie versuchte tief durchzuatmen, ihr Brustkorb schmerzte.
Keine Aufregung mehr.
Nichts, wovor sie sich fürchten musste.
Wie konnten sie sie finden? Sie hatte sogar sich selbst in die Irre geführt, war in dieser schauderhaften Stadt hin und her gelaufen, hatte in Geschäften nach dem Weg gefragt, sich einmal in ein Café gesetzt, ohne jedoch den Tee trinken oder Kuchen essen zu können. Sie musste sich beruhigen. Sie hatte es geschafft.
Es gab nichts, wovor sie sich fürchten musste.
Sie verließ das Hotel um acht Uhr abends, betrat das kleine Café am Ende der Straße, bestellte ein Omelette und Pommes frites und schaffte es, zusammen mit einem Glas Wein ein wenig davon zu essen.
Rachaela wollte nicht in das konturenlose, enge Zimmer zurückkehren, doch es blieb ihr nichts anderes übrig. Auch verspürte sie keine Lust mehr
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