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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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sie sich erst niedergelassen hatte. Ein bisschen Geld war übrig geblieben. Sie würde sich eine Arbeit suchen müssen. Alles wäre recht. Während der Zeit hier hatte sich die Dringlichkeit der Großstadt immer weiter von ihr entfernt.
    Sie musste erst einmal hinkommen.
    Der Tag schlich dahin, wanderte gemächlich von Stunde zu Stunde. Sie aß noch einen billigen Salat in der Imbissbude, und später setzte sie sich für eine Weile an den Fluss. Der Nachmittag war klar. Auf dem Wasser schwammen Enten, die sie vorher nicht wahrgenommen hatte. Brot für die Enten und eine warme Hand, die ihre hielt. Es war fast eine Erinnerung, erfunden und lange vorbei.
    Sie kam an einem Kino vorüber und sah sich den Film an. Er sollte lustig sein, und manchmal lachten die ältlichen Rentner in den vorderen Reihen auch mürrisch auf. Wie anders sie doch waren als die Scarabae … wie viel jünger. Zerknittert und gebeugt, verzerrt und verwundet. Mitleiderregend. Die Scarabae waren nicht mitleiderregend. Nicht einmal Sylvian auf seinem Scheiterhaufen. Rachaela verließ das Kino, bevor der Film zu Ende war.
    Die Kirchentür und ihre Armbanduhr bezeugten, dass es fünf Uhr war. Der Donnerstag war fast geschafft. Sie machte sich jetzt mit dem Gedanken an Freitag vertraut. Ihr wurde ein bisschen schwummrig, wenn sie daran dachte. Wenn der Zug den Bahnhof verließ, würde die Trennung vollzogen sein. Wie würde sie sich dann fühlen? Mein Gefängnis. Zurück zur Erde.
    Am Abend packte Rachaela ihre spärlichen Habseligkeiten sorgfältig in die neue schwarze Tasche. Sie ging wieder aus und nahm in dem Café wässrige Spaghetti Bolognese zu sich. Der Wein schmeckte wie Essig, machte sie aber eine halbe Stunde lang ziemlich beschwipst, während der ihr die jüngsten Ereignisse äußerst witzig erschienen. Dieser Zustand verwandelte sich genau dann in eine Depression, als es Zeit wurde, zu Bett zu gehen.
    Sie versuchte, das Taschenbuch zu lesen, doch das wirkliche Leben war zu allgegenwärtig, und sie konnte ihre Wahrnehmung nicht ausschalten.
    Wusste Adamus, dass sie weg war? Hatten sie es ihm gesagt? Wie hatte er reagiert? Wahrscheinlich war er erleichtert. Es war alles nur ein Ritual, etwas, das ihm das Haus zu tun befahl. Diese versengenden Momente vor dem Feuer – hatte sie geglaubt, dass es seine Absicht war, oder gehörte das auch zum Ritual? Wie konnte sie an ihn als ihren Vater denken – er war ihr nie einer gewesen. Er war ein Fremder und ein Trugbild ihrer Tagträume.
    Es war ihre Schuld. Sie hatte es provoziert. Falls es passiert war.
    Sie schlief und träumte von Sylvian, fünf Faden tief auf dem Meeresgrund, und von Fischen, die in seine Augenhöhlen hinein und wieder heraus schwammen. Es war ein friedvoller Traum. Sie wachte auf und erkannte den Sinn dessen, was sie getan hatten. Er war tot. Was sie mit seinem Körper anstellten, spielte keine Rolle mehr. Und immerhin – sie hatten ihn eingeäschert. Sehr hygienisch und modern. Letztendlich floh sie nicht vor der Verbrennung am Strand oder vor dem Mann und vor dem, was beinahe mit diesem Mann geschehen war, sondern nur vor der Beengtheit des Hauses. Floh eigentlich vor der Sicherheit, die es ihr bot. Ihre Kleider, ihr Radio und ihre Bücher hatte sie zurückgelassen. Wie eine Sechsjährige, die von zu Hause wegläuft.
    Es war Freitag.
    Sie hatte ihre Rechnung am Abend zuvor bezahlt. Jetzt musste sie nur noch aufstehen, sich anziehen und gehen. Sie wollte kein Frühstück, ihr Magen spielte ohnehin verrückt. Sie trank etwas Leitungswasser, das nach Chemikalien schmeckte, benutzte das ungemütliche Badezimmer und war bereit.
    Um Viertel nach sieben trat sie auf die Straße hinaus.
    Der Morgen war wieder regnerisch. Die Straßen glänzten wie nasses Seehundfell, und ein oder zwei Straßenlampen leuchteten immer noch verwirrt auf den dunklen Tag herunter. Die Autos spritzten durch die Pfützen und rauschten vorüber wie gewöhnlich. Die Geschäfte waren leer. Menschen begannen auszuschwärmen wie aufgescheuchte Kaninchen, auf dem Weg zu ihrer frühen Arbeit, und erleuchtete Busse strömten durch die Straßen.
    Sie kannte den Weg. Selbstbewusst überquerte sie den gesprenkelten Fluss und betrat die tosende Straße. Sie verpasste eine Abzweigung, aber nur einmal, dann kam sie in die Wagon Street. Es war zehn nach acht. Sicherlich würde die einzige Verbindung nach Fleasham nicht so frühzeitig abfahren. Sie hatte die Zeit nicht richtig berechnet. Sie eilte in das Bahnhofsgebäude.

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