Schwarzer Tanz
der Kirche, nicht einmal Besucher, die die Orgel und den Chor besichtigen oder die Fenster begutachten wollten.
Niemand, der betete.
Unter der Bank lagen bestickte Kissen für die Knie.
Rachaela verspürte den Drang, niederzuknien und zu beten. Wofür? Sie erinnerte sich an die Schulgebete, zu denen sie immer öfter zu spät gekommen war, Vater Unser im Himmel, die Aussöhnung einer jähzornigen und eifersüchtigen Gottheit, von der man behauptete, sie wäre mitfühlend, und die doch das Verlangen nach Lobpreisung hatte, schlimmer als das eines unsicheren Jugendlichen.
Gab es einen Gott? Logischerweise nicht. Niemand, an den man sich anlehnen konnte. Niemand, der verstand oder den man anflehen konnte. Sie war auf sich gestellt, wie üblich.
Rachaela lehnte sich leiderfüllt an die Bank. Ihr ganzer Körper schien gefoltert, ihr Rücken und Nacken waren steif, in ihrem Kopf wanden und bogen sich glühend rote Drähte.
Vier Tage. Oh Gott, nichtexistenter Vater, vier Tage.
Sie beobachtete, wie das scharlachrote Sonnenlicht vor dem Fenster durch eine Wolke brach. Die Bilder hier waren kein Wahnsinn. Christus verwandelte Wasser zu Wein, und die Säuglinge schwammen in ihren Körbchen im Schilf, anstatt im Wasser ertränkt zu werden. Und der Wolf würde weiden mit dem Lamm.
In der Kirche befand sich ein Leopard.
Er bewegte sich so leise, verhielt sich still nach jedem Schritt, den sie nicht gehört hatte. Sie hatte sich einlullen lassen.
Doch jetzt kam er auf sie zu, und sie konnte ihn riechen, wusste nicht, welcher Duft ihn verriet, hörte ihn, hörte nichts.
Sie blickte nicht hinter sich.
Hinter der blauen Reflexion der Jungfrau bewegte sich der Schatten des Leoparden und verschlang das Licht.
Er war hier.
Natürlich, wo sonst würde er auf sie warten, weitab von der Sonne, unter den Schatten? Dort, wo sie schließlich hinkommen musste. Oder hatte er den richtigen Zeitpunkt gekannt, ihre Hand an der Tür, ihr Körper zusammengesunken auf der hölzernen Bank?
Sie drehte sich schließlich um und sah Adamus, der sich über sie beugte.
8
Als sie fünf Jahre alt gewesen war, hatte sie ihre Mutter einmal in einem Warenhaus verloren. Irgendjemand hatte sie schließlich durch die geschäftige, alles überragende Riesenwelt des Geschäftes geführt und zu ihrer Mutter zurückgebracht. In Rachaela war das Gefühl aufgekeimt, dass ihre Mutter sie weder gesucht hatte noch über ihre Rückkehr sonderlich erfreut war, denn sie hatte sofort eine Ohrfeige bekommen.
» Woher hast du gewusst, dass ich hierherkommen würde?«
» Du magst alte Gebäude. Zufluchtsorte.«
» Wie lange hast du nach mir gesucht?«
» Nicht lange.«
» Und sogar bei Tageslicht«, sagte sie bissig.
Er trug einen langen Ledermantel, zu jung für ihn, wenn sein Aussehen seinem Alter entsprochen hätte. Aber das tat es nicht. Er trug keine Sonnenbrille. Sie würde in seiner Tasche verborgen sein, bereitgehalten für das Tageslicht. Glücklich über das schlechte Wetter?
Aber die Sonne war ja doch noch zum Vorschein gekommen.
» Ich mag das Licht nicht«, sagte er, » aber ich kann es aushalten.«
» Und es war unumgänglich, dass du mich findest.«
» Du hast dich verirrt.«
Seine Worte drückten genau ihre eigene Einschätzung der Lage aus.
» Nein, ich habe mich nicht verirrt. Ich wollte nach London.«
» Das ist von hier aus ziemlich kompliziert, wenn ich mich recht erinnere.«
» Ein Zug pro Woche, und sie haben mir den falschen Tag genannt. Sonst wäre ich schon fort.«
» Dann hätte ich warten müssen, bis du zurückkommst.«
» Ich wäre niemals wieder in deine Nähe gekommen.«
» Das denkst du.«
» Ich weiß es. Du kannst mich nicht dazu zwingen, mit dir zurückzugehen. Wenn du mich anfasst, schreie ich.«
» Das würde Krach machen.«
» Ich meine es ernst, Adamus.«
» Wie mittelalterlich das klingt aus deinem Mund. Interessant. Bei Anna hört es sich nur viktorianisch an.«
» Ich werde keine Spielchen mehr mitspielen. Ich gehe in ein Hotel. Und ich werde den Zug nehmen, wenn er kommt.«
» Schön«, sagte er. » Wie du willst.«
» Also bist du mir umsonst nachgejagt.«
» Abgesehen von dem Vergnügen, dich wiedergesehen zu haben.«
Er setzte sich neben sie auf die Bank. Seine Dunkelheit verbarg das blaue Fenster, die segnenden Hände der Jungfrau.
Sie sollte zum anderen Ende der Bank hinüberrutschen und weglaufen, doch sie war entsetzlich müde. Sie wusste nicht, wohin. Er würde ihr folgen. Auf und ab
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