Schwarzer Tanz
servierte.
Sie durchsuchte den Speicher und fand einen Hammer zwischen einer Nähmaschine und einem ausgestopften Vogel. Als hätte er auf sie gewartet.
Sie öffnete das klare Fenster und kletterte aufs Dach. Der Himmel war blau, bedeckt mit großen Wolkenbänken, wie Dampf aus einem Vulkan.
Sie spazierte über zwei Dächer und kam an den Turm mit seinem Fenster.
Kein Geräusch. Niemand spielte auf dem Klavier. Wie still er war. War er überhaupt anwesend? Wohin ging er, wenn er einfach so verschwand? Er hielt das Tageslicht aus. War es nur Heuchelei, dass sie sich davor fürchteten, als würde es von ihnen erwartet?
Sie klopfte höflich mit dem Hammergriff. War er da und verstellte sich nur? Begraben im Turm, sicher vor ihr.
Nichts. Nur das Rauschen der See.
Rachaela lehnte sich gegen die Turmmauer. Sie sehnte sich danach, an einem anderen Ort und ein anderer Mensch zu sein. Alles wäre ihr recht. Irgendein unscheinbares Garderobenmädchen, irgendeine Socken waschende Ehefrau. Alles, alles lieber als das.
Sie schwang den Hammer leicht. Beim ersten Schlag, zersprang das Glas im Löwenkopf. Sie hieb noch einmal dagegen. Gelbe Kristallsplitter regneten auf das Dach wie seltsame Bonbons.
Doch sie hatte den Turm noch nicht durchbrochen. Hinter dem gezackten Loch, das sie geschlagen hatte, war noch mehr Glas, oder eine andere, dickere Substanz. Sie hämmerte hart dagegen, und das Fenster erbebte; kleine Sprünge erschienen wie die Risse nach einem Erdbeben. Die Substanz hinter und zwischen dem Glas gab nicht nach. Das hätte sie sich denken können. Sie hatten von dem Steine werfenden Pöbel gelernt. Das Glas war gegen jedwede Attacke gesichert.
Sie ließ die herausgebrochenen Scherben liegen, brachte den Hammer zurück und legte ihn ordentlich neben einen Paradiesvogel mit zitronengelben und kirschroten Federn. Ein nutzloser Akt der Aggression.
Man hatte es ihr vorgeführt. Sie waren unangreifbar für sie. Und sie war keine Vandalin; es lag nicht in ihrer Art, Dinge zu zerstören.
Sie ging zurück in ihr Zimmer. Mit dem Kugelschreiber schrieb sie auf ein Stück Papier, das sie sich von einem uralten Stapel im Schreibtisch des Morgenzimmers geholt hatte.
Adamus,
es ist unfair, mich auszusperren. Ich möchte mit Dir reden. Das ist nicht einfach nur eine Laune. Wie lange wirst oder kannst Du Dich vor mir verstecken?
Dann zerriss sie diese Nachricht und die zwei oder drei, die ihr folgten, und verbrannte sie im Kamin.
Adamus war der Prinz der Dunkelheit. Er würde auf ihr Flehen nicht antworten. Ein kapriziöser und boshafter Geist, ein Schattenwesen. Er hatte ihr seinen Willen, oder den der Scarabae, auferlegt. Jetzt musste sie deren Fesseln lösen. Sie konnte es. Es war leicht.
Voller Schrecken saß sie da und dachte an ihre Zukunft.
Sie war einfältig gewesen und verdiente keine freundliche Behandlung.
Sie musste die Kraft aufbringen.
Ungefähr um vier Uhr morgens warf sie im Schein einer Kerze zwei weitere Bücher in ihre neue, schwarze Tasche, testete ihr Gewicht und zog den Reißverschluss zu.
Diesmal hatte sie auch einige Kleider und mehrere leichtere Bücher, die Taschenbuchausgaben, hineingestopft. In ihre Handtasche packte sie Make-up und Toilettenartikel. Sie konnte das Radio nicht mitnehmen, doch wie zuvor hatte sie sich damit abgefunden. Auch die Mehrzahl der Bücher musste sie zurücklassen. Es war Dienstag, sie hatte sorgfältig nachgerechnet. Möglicherweise der Tag des Lieferwagens, das war jedoch nicht wichtig. Den Lieferwagen konnte sie nicht noch einmal benutzen. Sicherlich würden Carlo und Cheta es diesmal verhindern.
Sie zog ihren Mantel über und warf sich die neue Tasche über wie einen Rucksack. Sie war schwer, doch es ging.
Sie würde es aushalten müssen. Die kleinere Tasche hängte sie sich über die Schulter.
Rachaela öffnete die Tür zu der üblichen » nächtlichen « Schwärze. Sie umklammerte die Kerze.
Die Schnitzereien tanzten, und eine hölzerne Eule starrte ihr aus hölzernen Blättern entgegen. Irgendetwas stimmte nicht.
Sie wusste es, bevor sie den Treppenabsatz erreicht hatte. In der Halle brannte ein Licht, die rote Lampe.
Sie kam an die oberste Stufe und sah nach unten.
Sie waren alle da. All die Scarabae. Sie sah sie an, einen nach dem anderen, Unice und Alice, Peter und Dorian, Jack und George und Eric, Stephan und Anna standen etwas abseits, Teresa, Miranda, Anita, Sasche, Livia und Miriam. Und Onkel Camillo in seiner Rüstung, deren Brustpanzer und
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