Schwarzer Tanz
Verstand. Das Team der Psychiater, das versuchte, die Gründe der Möchtegernkillerin zu durchleuchten. Würde es ausreichen, wenn man Angst hatte? Nein. Der Traum, den sie gehabt hatte – sie lag auf dem Strand, gespalten und aus ihren Eingeweiden rannen schwelende Flammen, während die See über den Sand spülte – würde nicht ausreichen.
Natürlich würden sie es ihr nicht einfach machen. Es durfte nicht leicht sein. Sie trug ein Leben in sich. Sie konnte ihren Körper nicht einfach ausspülen wie eine Toilettenschüssel.
Das Mädchen neben Lyns Freundin diskutierte über irgendwelche Nahrungsmittel. » Ein schönes Steak mit Zwiebeln gebraten. Das könnte ich ihm jeden Abend vorsetzen. Es hat keinen Wert, dass ich sage, Tony, das ist schlecht für dich. Du wirst einen Herzanfall kriegen. Und versuch, ihm Salat reinzudrücken. Pommes frites mit allem. Unsere Decke ist schon ganz schwarz von dem ganzen Pommes-frites-Gemache. Triefend vor Fett. Er macht mich krank.«
Sie hatte Rachaela einen Gefallen getan. Sie stand auf und verließ eilends den Vorraum. Draußen war die Nacht wunderbar kalt, ein Geruch nach Häusermauern und offener Straße. Das starre Leuchten der widerlichen Straßenlaternen, die der Welt ein gesichts- und farbloses Aussehen verliehen.
Das purpurfarbene Mädchen, jetzt ganz in Schwarz, stand an dem Zaun und rauchte gierig. Sie warf einen kurzen Blick auf Rachaela und sah dann wieder weg. Es war nicht möglich, ihr Fragen zu stellen. Auf jeden Fall war jetzt sowieso alles enthüllt. Ein schwieriges Geschäft, ein demütigendes, nervenaufreibendes Geschäft. Das mit grober Behandlung voller Schmerzen und einer bleibenden Narbe endete.
Sie konnte das in der Nähe stehende Straßenlicht sirren hören wie ein radioaktives Isotop. Die Erde war voller Giftstoffe und von der Bedrohung aus dem Weltraum umzingelt.
Welchen Sinn hatte das alles.
Das ausgeschabte Mädchen starrte Rachaela nach, als sie durch das Tor und die Straße hinunterspazierte. Ihr Gesicht trug einen leicht beleidigten Ausdruck, als wisse sie, dass Rachaela sich gerade einer ähnlichen Widerwärtigkeit und Pein, dem Geheimnis des weiblichen Vereins, entzogen hatte.
Über das Beethovenkonzert hinweg ertönte ein Klopfen an der Tür.
Rachaela saß in ihrem Sessel und lauschte dem Widerhall.
Warum sollte sie hingehen?
Es war niemand da. Irgendein Versehen. Als sie gerade drei Tage in dem Apartment gewohnt hatte, war ein Mann die Treppe hochgetrampelt, von einem anderen Mieter hereingelassen, und hatte an ihre Tür gehämmert.
» Wohnen die Chambers hier?« Sie hatte verneint. Er hatte ihr nicht geglaubt, bis sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte.
Es wurde erneut an die Tür geklopft. Eine gedämpfte Frauenstimme ertönte: » Ich bin’s nur. Von unten, Nummer fünf.«
Rachaela erhob sich aus ihrem Sessel.
War das etwa auch ein Teil der Scarabae’schen Verschwörung? Denn, ja, es gab eine Verschwörung. Natürlich. Sie öffnete die Tür. Es war die blonde, ergrauende Frau aus dem Stockwerk unter ihr.
» Entschuldigen Sie die Störung. Ich habe eine völlig unsinnige Bitte. Sie haben nicht zufällig etwas Milch für mich? Mir war den ganzen Tag so kalt, dass ich mir Unmengen Tee und Kaffee gemacht habe, und jetzt ist mir die Milch ausgegangen. Der Milchmann kommt morgen. Ich kann sie also bald zurückgeben.«
Rachaela sagte: » Ich habe nur Tütenmilch.«
» Oh, das wäre perfekt, wenn Sie sie entbehren können.«
Rachaela ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Sie holte die dreiviertelvolle Tüte heraus. Die Frau stand auf dem grauen Teppich. » Wie hübsch Sie es sich gemacht haben«, sagte sie, » und keine Unordnung. Das bewundere ich. Ich fürchte, meine Wohnung ist eine Kreuzung zwischen einer Bibliothek und einem Antiquitätenladen.«
Rachaela dachte an all ihre Bücher, die sie zurückgelassen hatte. Beethoven spielte ungerührt weiter.
» Können Sie die ganze Packung entbehren?«
» Ja.«
» Also, vielen herzlichen Dank. Wie ich schon gesagt habe …«
» Machen Sie sich keine Umstände. Ich habe noch eine Tüte«, log Rachaela.
» Aber das geht doch nicht.«
Die Frau legte eine Pause ein. » Das ist die Dritte, nicht wahr? Ich bin ein Beethovenfan. Ich liebe seine Wut. Warum sollte der Ärmste auch nicht zornig sein, wo er doch schließlich taub wurde, nicht wahr?«
» Ja.«
» Ich stelle mich wohl besser vor.« Rachaela sah sie nur an. Offensichtlich unerschüttert, sagte die
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