Schwarzer Tod
befand.
Avram Stern hatte seinen eigenen Sohn nicht einmal wiedererkannt. Als Jonas seinen hebräischen Namen aussprach und dann auch noch den Namen seiner Mutter, wäre der Mann, den alle als den Schuhmacher kannten, beinahe in Ohnmacht gefallen. Während Rachel Jansen die anderen Frauen zurückhielt, hatten sie über viele Dinge gesprochen, doch Jonas war rasch zur Sache gekommen. In einem fast unhörbaren Flüstern hatte er seinen Vater gebeten, mit ihm aus dem Lager zu fliehen.
Avram hatte sich geweigert. Jonas mochte es nicht glauben. Es war wieder wie in Rostock! Und doch war es dies- mal vollkommen anders. Vo r zehn Jahren hatte Avram sich geweigert zu glauben, daß Hitler die jüdischen Kriegsveteranen betrügen würde. Jetzt litt er nicht mehr unter solchen Illusionen, aber er war noch genauso halsstarrig. Nun behauptete er, daß es für ihn unmöglich wäre, guten Gewissens seine jüdischen Mitgefangenen dem Schicksal zu überlassen, das sie in Totenhausen erwartete. Jonas hatte heftig mit ihm gestritten und kurz davor gestanden, seinen wahren Auftrag zu verraten, aber Avram war stur geblieben. Die einzige Konzession, die er gemacht hatte, war die, daß er gehen würde, wenn Jonas auch anderen helfen würde zu fliehen. Und so hatte Jonas seinem Vater wütend und enttäuscht befohlen, im jüdischen Frauenblock zu schlafen, bis er wiederkäme.
Während Stern über die Hügel zurückmarschiert war, hatte er sich genug beruhigt, um einen Plan schmieden zu können. Aufgrund der Dickköpfigkeit seines Vaters versuchte er jetzt, etwas zu bewerkstelligen, was selbst der Chef des SOE für unmöglich hielt: Er versuchte einen Weg zu finden, die SS-Wachen in Totenhausen mit Giftgas umzubringen und dabei die Gefangenen zu verschonen. Um das zu tun, das wußte Stern, würde er McConnells Hilfe benötigen. Er haßte diese neue Abhängigkeit fast ebenso, wie er sich selbst dafür haßte, daß er den ursprünglichen Plan nicht mehr durchziehen konnte. Aber wie auch immer ... Auf jeden Fall würde er dem Amerikaner seine Schwäche nicht enthüllen.
»Ich bin bereit, die Gefangenen zu retten«, zischte Stern mit zusammengepreßten Zähnen, »falls Sie mir helfen, die SS-Männer zu töten, die Fotos zu schießen, die die Briten brauchen, und eine Somanprobe zu stehlen. Wenn Sie sich weigern, mir zu helfen, werde ich den Angriff allein ausführen. Dann werden alle sterben, vielleicht sogar Sie und Fräulein Kaas.«
»Beruhigen Sie sich«, sagte McConnell. »Setzen Sie sich hin, und seien Sie eine Minute ruhig. Bitte.«
Anna hob Sterns Stuhl auf und schob ihn hinter den Mann, aber er setzte sich nicht.
McConnell versuchte, in Sterns glänzenden, harten Augen zu lesen, aber es war, als versuche man durch schwarzen Quarz zu blicken. Stern hatte seine Gründe, und er würde sie für sich behalten jedenfalls für den Moment.
»Einverstanden«, sagte McConnell nach einem Augenblick. »Das klingt wie ein faires Geschäft. Wir haben eine Abmachung. Ich helfe Ihnen.«
Stern war mehr ob dieses Gesinnungswandels schockiert als McConnell von Sterns Meinungsänderung. Er griff nach dem Stuhl und setzte sich McConnell gegenüber.
»Das war einfacher, als Sie gedacht haben, stimmt's?« meinte McConnell. »Nun, seien Sie bloß nicht zu stolz auf sich. Ich möchte wissen, wie Sie es schaffen wollen, 150 SS-Männer zu töten, ohne dabei auch die Gefangenen umzubringen.«
»Sie sind derjenige, der sie retten will«, erwiderte Stern, fast ein wenig zu schnell. »Sagen Sie es mir.«
McConnell fühlte flüchtig, daß Stern nicht das sagte, was ihn eigentlich bewegte. Zwar hatte er dafür keinen Beweis, aber weil Stern fast immer genau das sagte, was er dachte, klangen seine Worte stets überzeugt. Doch Sterns letzte Bemerkung hatte gezwungen, ja fast übertrieben geklungen. Doch andererseits: Was konnte er schon verbergen?
»Sie sind doch das Genie«, fuhr Stern fort und durchbrach das Schweigen. »Jetzt können Sie es beweisen.«
»Das werde ich auch«, erwiderte McConnell, während er die neue Persönlichkeit vor ihm abschätzend musterte. »Ich werde einen Weg finden.«
Eine halbe Stunde und eine zweite Kanne Kaffee später wußte McConnell noch immer keine Antwort. Die drei Verschwörer saßen um den Küchentisch herum wie Studenten, die versuchten, eine komplizierte Gleichung zu lösen, Stern hatte einige verzweifelte Pläne im Kommandostil vorgeschlagen, wie man die Gefangenen befreien könnte, bevor man das Lager vergaste,
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