Schwarzer Tod
an ihn erinnern. Wie er gelebt hat ... oder wie er gestorben ist.«
»Wie war sein Name? Wir kennen uns untereinander alle hier im Lager.«
»Avram«, antwortete Stern ruhig. »Avram Stern aus Rostock.«
Rachel sah die anderen Gefangenen an und richtete ihren Blick dann wieder auf Stern. »Sie meinen den Schuhmacher?«
Stern beschlich eine dunkle Vorahnung. »Schuhmacher? Ja, er war Flickschuster.«
Rachel streckte die Hand aus und berührte sein Kinn. Sie hob sein Gesicht an und drehte es im Licht hin und her. »Mein Gott«, murmelte sie. »Sie sind sein Sohn!«
Stern verkrampfte sich. »Kannten Sie ihn?«
»Ob ich ihn kannte?« Rachel sah ihn verwirrt an. »Ich kenne ihn. Er schläft im Moment kaum 30 Meter von uns entfernt.«
33
Als die Haustür über ihm aufgerissen wurde, ließ McConnell das Tagebuch fallen und griff nach seiner MR Er hörte Annas Stimme, und dann die eines Mannes, der deutsch sprach. Er kroch zur Kellertreppe und öffnete die Tür einen Spalt. Stern stand in seiner SD-Uniform in der Küche und rieb sich heftig die Hände. Sein Gesicht war gerötet und seine Augen tränenverschmiert, als wäre er meilenweit durch den eisigen Wind gelaufen.
»Kaffee, bitte!« sagte er zu Anna. »Wo ist der Doktor? Schläft er?«
Anna trat an den verbeulten Topf, der auf dem Ofen dampfte.
»Ich glaube allmählich, daß Sie gar nicht vorhaben, das Lager anzugreifen«, sagte McConnell und trat in die Küche.
Stern blickte auf die Schmeisser. »Sie sollten sie lieber am Lauf halten und als Keule benutzen.«
»Fahren Sie zur Hölle!« McConnell setzte sich an den Tisch.
»Danke«, erwiderte Stern und ließ sich von Anna eine Tasse heißen Kaffee geben. »Wenn Ihre christliche Hölle existiert, mein Freund, dann bin ich eben dagewesen. Und stellen Sie sich vor, sie ist voller Juden.«
»Was wollen Sie damit sagen? Waren Sie etwa im Lager?«
Stern setzte die Tasse an die rissigen Lippen und beobachtete McConnell über den Rand des Bechers hinweg. »Lager sind dafür da, Leute drinzubehalten, nicht, sie herauszulassen.«
»Also - wie sind Sie herausgekommen?«
»Unter einem Lastwagen mit medizinischen Vorräten. Eine ziemlich merkwürdige Zeit, um Auslieferungen zu machen, finden Sie nicht?«
»In Totenhausen sind genauso viele Christen wie Juden, Herr Stern«, erklärte Anna, die noch am Ofen stand.
Stern überraschte McConnell, weil er auf diese Bemerkung nicht antwortete. Der junge Zionist wirkte abgelenkt, und von seinem heißblütigen Temperament war nichts zu bemerken.
»Also, warum haben Sie das Lager nicht angegriffen?« verlangte McConnell zu wissen.
»Es ist zu windig«, antwortete Stern und hielt den Blick auf den Tisch gerichtet.
»Verstehe. Haben Sie etwas Nützliches herausgefunden?«
»Was meinen Sie mit nützlich? Sie wollen doch nicht, daß dieser Einsatz Erfolg hat, schon vergessen?«
Anna sah über Stern hinweg McConnell an. Ihr Blick schien ihn zu fragen, ob das immer noch stimmte.
»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Doktor«, sagte Stern in neutralem Ton.
»Ich höre.«
»Es ist offensichtlich, daß ich diesen Einsatz nicht ohne Ihre Hilfe wie geplant durchführen kann. Also schlage ich einen Kompromiß vor.«
Anna stellte eine Tasse Kaffee vor McConnell. Er dankte ihr mit einem Nicken. »Was für einen Kompromiß?«
»Wenn Sie mir helfen, die SS-Garnison zu vergasen, dann werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um das Leben der Gefangenen zu retten.«
McConnell lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Hatte er richtig gehört? Anna ließ ihn nicht aus den Augen. Offenbar hatte sie dasselbe gehört. »Na so was«, sagte er. »Da fällt mir Saulus auf dem Weg nach Damaskus ein ...«
Sterns Stuhl knallte gegen den Ofen, als er auf die Füße sprang.
»Hallo!« sagte McConnell und hob beide Hände. »Immer mit der Ruhe. Vor vier Stunden wollten Sie noch alle umbringen. Und jetzt wollen Sie sie retten?«
Sterns Hände zitterten. Als er seinen Vater das erste Mal nach elf Jahren umarmt hatte, hatte er das Gefühl gehabt, als würde ein Panzer aus Eis um sein Herz schmelzen. Alles, was er sich vorgenommen hatte, ihm zu sagen, wenn er ihn jemals wiedersehen würde - wie dumm und eigensinnig Avram gewesen war, in Deutschland zu bleiben, wie grausam es war, seine Frau und seinen Sohn ohne seinen Schutz nach Palästina zu schicken -, all das war plötzlich aus seinem Kopf verschwunden, als er den jämmerlichen Zustand gesehen hatte, in dem sein Vater sich
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