Schwarzer Tod
jedenfalls ihr letzter Gedanke sein. Aber wieso waren sie so plötzlich aufgetaucht? Hatte Schörner doch die Gefahr erkannt, die dem Lager drohte? Vor einer Minute hatte Weitz gesehen, wie Hauptscharführer Sturm eine lange Reihe von Fabriktechnikern über den Appellplatz zum Kino gescheucht hatte; aber darin sah er kein ernstes Problem. Ganz gleich, was Schörner auch erfahren hatte, er konnte das Spiel nicht mehr durchschauen. Er kam zu spät, um noch etwas zu tun.
Weitz griff nach dem Raubhammer-Anzug, als er das Dröhnen eines Lastwagens hörte.
Avram Stern hatte drei Schritte in Richtung Hintereingang des Lagers Totenhausen gemacht, als Befehle und das Rumpeln von Motoren ihn stoppten. Er drehte sich um und sah Sturmbannführer Schörners grauen Kübelwagen aus dem Haupttor von Totenhausen brausen. Ein offener Lastwagen voller SS-Männer folgte ihm. Sie waren alle bis an die Zähne bewaffnet.
Avrams letzte Hoffnungen schwanden dahin.
Er verstärkte den Griff um die Schmeisser und ging weiter auf die Wache zu, doch erneut blieb er stehen, als er eine Tür schlagen hörte. Ariel Weitz stand auf der Treppe des Krankenhauses und blickte den Fahrzeugen verblüfft hinterher. Weitz bog den Kopf zurück; fast schien es, als spüre er, daß jemand den Blick auf ihn gerichtet hatte. Als er schließlich in Richtung der Gefangenenblocks sah, traf der Schuhmacher eine der riskantesten Entscheidungen seines Lebens. Er sollte niemals herausfinden, warum er es tat. Wenn jemand ihn damals gefragt hätte, dann hätte er geantwortet, wegen der Tränen, die er in der Nacht der Selektion auf Weitz' Gesicht gesehen hatte. Seitdem hatte er oft über Weitz nachgedacht. Wie der verhaßte Informant frei auf dem Gelände herumlief. Wie die SS ihm so vertraute, daß sie ihn gelegentlich sogar allein nach Dornow schickten, um Besorgungen für sie zu erledigen ... Und um einen Einsatz wie den zu planen, an dem Jonas beteiligt war, mußten die Briten eine gute Informationsquelle in Totenhausen haben. Der Schluß, zu dem Avram gekommen war, lautete, daß kein Jude so gründlich von den Nazis korrumpiert werden konnte, wie es bei Ariel Weitz der Fall zu sein schien. Als Weitz nun also von der Krankenhaustreppe zu den Baracken schaute, bedeutete Avram ihm mit einem Winken, zum Blocktor zu kommen.
Weitz zögerte, als er den Posten winken sah. Er wollte nicht über den Appellplatz gehen. Aber der Mann gehörte zur SS. Selbst so kurz vor seinem Triumph konnte er sich schlecht verweigern. Er lief über den Schnee, blieb vor dem Posten stehen und sah ihn mit seinem typischen, unterwürfigen Blick an.
»Du!« platzte er heraus. »Was machst du in dieser Uniform?«
Avram streckte die Hand aus und umklammerte Weitz Hals. Mit der rechten zog er den SS-Dolch aus dem Gürtel und hielt ihn Weite unters Kinn. »Wenn du schreist«, sagte er, »dann schneide ich dir den Hals durch wie ein Stück Leder.«
Weite schüttelte heftig den Kopf. »Nicht! Du verstehst nicht!« Er starrte auf die SS-Uniform. »Ich verstehe allerdings auch nicht.«
Avram kitzelte mit der Dolchspitze Weite' Haut. »Sag mir eins: Bist du in die Dinge verwickelt, die hier passieren?«
Die Augen des kleinen Mannes weiteten sich. »Ich weiß, was passieren wird; aber ich habe meine eigenen Pläne.« »Ich wußte es! Du kleiner Stiefellecker! Du hast die ganze Zeit nur so getan! Hör mir zu. Mein Sohn ist von der SS verhaftet worden. Wenn er nicht befreit wird, wird dieser Angriff nicht stattfinden.«
»Dein Sohn ...? Dein Sohn ist der jüdische Sturmbannführer?«
»Ja.«
»Meine Güte. Wo ist er jetzt? Im Kino bei den Arbeitern?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich verhören sie ihn irgendwo.« Avram schüttelte Weite am Hals. »Du mußt ihn befreien! Du weißt alles über dieses Lager!«
Weite schien wütend zu sein, weil seine Pläne durchkreuzt worden waren, aber er nickte. »Ich sehe zu, was ich tun kann. Was hast du vor? Willst du hier stehenbleiben und sterben?«
Avram ließ ihn los. »Befrei einfach meinen Sohn.«
Als Ariel Weite zum Krankenhaus zurückkehrte, trat Rachel Jansen aus dem Schatten hinter Avram. »Warum haben Sie mit ihm geredet?« flüsterte sie. »Er arbeitet für die SS.«
»Lassen Sie das meine Sorge sein. Sind alle Frauen im Kinderblock?«
»Ja.« Sie hob das Bündel hoch, das sie in den Armen hatte. »Und hier ist Hannah. Wo ist Ihr Sohn?«
Avram schüttelte den Kopf. »Gefangen. Sie müssen Hannah mit in den E-Block nehmen.«
Rachel
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