Schwarzer Tod
hinweg zur Quelle des Stroms geflogen. Er schlug in die kupfernen Anschlußstangen der Station, ionisierte die Luft und knisterte die Stahlstäbe entlang wie in einem Frankensteinfilm. Die Unterbrecherkontakte wurden einer weit höheren Hitze ausgesetzt als der, für die sie konzipiert worden waren, und brachten sofort das Isolationsöl zum Kochen, in dem sie eingebettet waren. Die stahlummantelten Behälter platzten wie gigantische Schrapnellbomben und sprühten ihr Öl über den Schnee.
Die Sensoren in der Station, die dafür verantwortlich waren, den Strom auf die Hilfskabel umzuleiten, funktionierten zwar, aber letztendlich versagten auch sie. Der erste Gaskanister hatte bereits zwei Isolatoren zerschmettert und brachte das Ersatzkabel so in direkten Kontakt mit dem Querbalken. Als der umgeleitete Strom den ersten zerstörten Isolator erreichte, wiederholte sich das Ereignis beinah exakt. Als dann die zweite Explosion durch die Hügel schallte, sah McConnell halb geblendet vom Blitz nach Totenhausen.
Im Lager waren alle Lichter erloschen.
Während Schörners Männer verblüfft die Transformatorstation anstarrten, hielt der Sturmbannführer die Taschenlampe auf die Stiefelspuren gerichtet, denen sie gefolgt waren. Vor ihm stand mitten auf dem Weg ein glatter, dicker Baumstamm. Schörner hatte mit der Taschenlampe das Holz drei Meter hochgeleuchtet, bis ihm klarwurde, daß dies ein Teil eines Strommastes war.
»Eure Lampen!« schrie er und lief auf den Mast zu. »Schnell!«
Als Schörners Ruf von unten heraufdrang, hatte McConnell sich wieder auf dem Querbalken aufgerichtet und seine Hand um das Gummiseil gelegt. Drei Lampenkegel vereinten sich am Fuß des Mastes. Stern hatte McConnell zwar ermahnt, er solle Abstand zwischen den Kanistern lassen, aber dafür war jetzt keine Zeit mehr. McConnell riß den dritten Keil heraus, wartete zwei Herzschläge und riß dann den vierten und fünften gleichzeitig los.
Ein Lichtkegel glitt über den Querbalken.
Der letzte Zylinder hing einen Meter unter dem Kabel des Querbalkens und schwenkte lautlos in der Dunkelheit. Als er das Seil packte, um auch diesen Kanister loszuschicken, wurde McConnell etwas klar, und ein Schauder lief ihm über den Rücken.
Er würde sterben.
In einigen Sekunden würden vier Lichtbündel seine Position fixieren wie die Suchscheinwerfer über London, die die Luftwaffenbomber in den Wolken aufspürten, und Maschinengewehrfeuer würde folgen. Mit dieser Gewißheit kam noch etwas anderes, Unerwartetes, und zwar etwas vollkommen anderes, als das, was er noch vor wenigen Augenblicken empfunden hatte: eine Flut puren, animalischen Entsetzens.
Er wollte leben!
»Da!« rief Schörner und richtete den Lichtstrahl der Taschenlampe auf die Mastspitze. »Sehen Sie etwas?«
»Nein, Sturmbannführer!«
»Die Spuren enden hier!«
»Vielleicht ist er ja in ihnen zurückgegangen.«
»Seht euch das an!« schrie ein SS-Mann, der sich über etwas beugte, was im Schnee lag. Er schrie plötzlich auf und zuckte zurück.
Schörner wirbelte herum und leuchtete mit seiner Taschenlampe den Schnee ab. Ein Mauser-Karabiner lag rauchend und schwarzglühend in einer niedrigen Grube aus schmelzendem Schnee. Schörner brauchte nur Sekunden, bis er wußte, was geschehen war. Er zielte mit der Taschenlampe erneut auf die Mastspitze.
»Mehr Licht!« befahl er.
»Sturmbannführer!« schrie einer der Soldaten. »Die Transformatorstation brennt!«
Schörner fluchte, als die drei Lichtstrahlen verschwanden. »Der Mast, ihr dummen Schweine! Richtet eure Lampen auf den Mast!«
McConnell streckte die Beine aus, hakte beide Füße um die Stützstange, die den Kanister hielt, und riß den Keil heraus. Das Gummiseil fiel 20 Meter tief in den Schnee. Nur sein Hintern und die Hände auf dem Querbalken hielten den Kanister jetzt noch davon ab, mit ihm ins Tal zu rasen.
Zweimal bereits war der Strahl einer Taschenlampe über seinen schwarzen Anzug geflackert, aber er zwang sich trotzdem dazu, nach unten zu blicken.
Ein Drahtnetz bedeckte den dunklen Kanister, und aus diesem Netz lugten die Druckzünder hervor. Jeder von ihnen konnte die Kapsel absprengen und das Gas ausströmen lassen. Er hatte keine Zeit mehr für Vorsicht. Wenn die Zünder explodierten und das britische Gas funktionierte, mußte er sich auf den Gasanzug und die Maske verlassen, die er in Oxford hergestellt hatte. Ob er lebte oder starb, lag jetzt in seinen Händen. Drei Lichtkegel schnitten durch die
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