Schwarzer Tod
nehmen.
»Glauben Sie, daß irgend jemand weiß, was passiert ist? Ich meine ... glauben Sie, daß uns Militär folgt?«
Stern warf einen Blick nach hinten. Unter seinen geschwollenen Augen klebte verkrustetes Blut.
»Kümmern Sie sich um die Frauen, Doktor. Und überlassen Sie den Rest Sturmbannführer Stern.«
McConnell hielt den Druck auf Annas Wunde konstant, während der Mercedes durch die Nacht fuhr. Wenn sie durch ein Dorf kamen, fuhr Stern langsamer und rollte mit angemessener Geschwindigkeit hindurch. McConnell konnte sich noch lange an die Namen der Ortschaften erinnern. Tessin; Sanitz; Gresenhorst; Ribnitz. Nicht weit hinter Ribnitz roch er Seeluft. Stern fuhr nicht langsamer, wie er erwartete hatte, sondern gab Gas.
»Was haben Sie vor?« fragte McConnell.
Stern beugte sich vor und starrte durch die Windschutzscheibe. »Unser Schlauchboot ist zwischen Felsbrocken an einem bestimmten Landungssteg in der Nähe von Dierhagen versteckt. Es ist ein Zweimann-Boot. Aber ich habe nicht vor, mit einem aufblasbaren Boot in eine Schiffahrtsrinne zu fahren, die von einem Eisbrecher frei gehalten wird. Nicht mit einer verwundeten Frau und einem Kind. Außerdem brauchen wir mindestens zwei Stunden, bis wir das verdammte Ding finden und es aufgepumpt haben.«
McConnell sah, wie sie in ein weiteres Dorf einfuhren. »Was wollen Sie dann tun?«
Stern beugte sich über das Lenkrad. »Bereiten Sie sich darauf vor, schnell reagieren zu müssen, Doktor. Ich trage das Kind, Sie die Frau. Ganz gleich, was passiert ... Trennen Sie sich nicht!«
McConnell hatte nicht vor, das zu tun. »Ich bin bereit«, sagte er.
Stern fuhr über die Hauptstraße eines Ortes. Die Straße wirkte verlassen, aber an ihrem Ende sah McConnell die silbernen Silhouetten einiger Masten in den Himmel ragen. Ein Licht brannte in einer Hütte am Eingang zum Steg. Stern blieb stehen, um sich kurz aus dem Schutzanzug zu winden; dann fuhr er neben den Schuppen und hupte laut.
»Sind Sie verrückt geworden?« McConnell war entsetzt.
Stern zog die SD-Mütze aus dem Seesack, setzte sie schräg auf den Kopf und stieg aus. Den Motor ließ er laufen.
Ein Bootsmann der Küstenwache stolperte aus dem Schuppen. Er hielt eine Taschenlampe in der Hand. Gerade wollte er fluchend fragen, wer ihn da mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen hatte, als der Lichtkegel der Taschenlampe auf die blutüberströmte Uniform, das Eiserne Kreuz Erster Klasse und die Rangabzeichen eines SD-Sturmbannführers fiel.
»Leuchten Sie mir nicht mit der Lampe ins Gesicht, Sie Idiot!« blaffte Stern den Mann an. »Und nehmen Sie gefälligst Haltung an!«
Der Bootsmann war ein 50er Veteran aus dem Großen Krieg. Er stand stramm. »Was kann ich für Sie tun, Sturmbannführer?«
»Dienstgrad und Name?«
»Feldwebel Kurt Voss.«
»Gut, Feldwebel. Ich brauche ein Boot.«
Das Gesicht des Bootsmanns war grau vor Angst, aber er war nicht so dumm, das Blut und die Schwellungen auf dem Gesicht der Nazi er scheinung zu erwähnen. »Hier liegen viele Boote, Sturmbannführer. Was für ein Boot brauchen Sie?«
»Ein Motorboot. Ein seetüchtiges Schiff, und zwar das schnellste hier am Pier.«
Der Bootsmann schluckte. »Die meisten Boote hier sind für den Fischfang gedacht, Sturmbannführer. Und bei dem Eisgang dieses Jahr ... Nun, es fahren nur sehr wenige raus.«
»Es muß doch eins geben.«
»Da ist ein Patrouillenboot der Kriegsmarine. Seine Mannschaft ist früher am Abend vorbeigekommen, um ... na ja, Sie wissen schon ... «
»Ich verstehe vollkommen, Bootsmann.« Stern lächelte kalt. »Gehen Sie zu dem Boot voraus. Ich folge in meinem Wagen.«
»Aber Sie müssen erst mit dem Kapitänleutnant sprechen, Sturmbannführer. Er wird sicherlich ...«
Der Bootsmann verstummte angesichts Sterns glühendem Blick.
Stern hob das Kinn und betonte jedes Wort in Gestapomanier: jede Silbe wie ein Peitschenknall. »Der Kapitänleutnant wird was tun, Bootsmann? Nach Berlin melden, daß er leider einem SD-Offizier in einer Angelegenheit der Reichssicherheit nicht helfen konnte, weil er besoffen in einem Puff lag?«
Feldwebel Voss schüttelte heftig den Kopf. »Sie haben recht, Sturmbannführer! Folgen Sie mir. Ich werde das Boot schon angelassen haben, bevor Sie an Bord kommen.«
Es gab noch eine kurze Verwirrung auf dem Boot, als Anna und die kleine Hannah auftauchten. Der erstaunte Bootsmann konnte sich nicht durchringen zu glauben, daß eine verwundete Frau und ein Kind etwas mit einer
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