Schwarzer Tod
deutschen Schäferhunden mit den mächtigen Läufen und dem glänzenden Fell, sondern eine verwilderte Promenadenmischung aus den Hügeln. Ein Aasfresser, der auf der Müllhalde von Dornow lebte. Der Hund blieb an der Leiche einer Frau stehen, zog an dem Kittel und leckte ihr das Gesicht. Sofort sprang er zurück und wartete auf eine Reaktion. Avram zählte bis 60 und wehrte dabei ärgerliche Hiebe der Frauen unter ihm ab.
Der Hund lebte immer noch.
Avram preßte den Lauf der Waffe ans Fenster und drückte ab.
Die Luke des E-Blocks zu öffnen war nicht halb so schwierig wie durch das gezackte Glas des Bullauges ins Freie zu krabbeln. Als Avram die Stahltür zurückzog, ergoß sich ein Strom schlaffer Körper hindurch wie Leichen. Etwas ähnliches hatte er einmal auf einem Abstellgleis in Ostdeutschland gesehen. Er ging die Zementstufen hinauf und wartete darauf, daß die hysterische Masse von Frauen und Kindern aus der Gaskammer strömte.
Als die Gasse schließlich voller Häftlinge war, stieg er auf die Stufen der Krankenhaustreppe und feuerte mit der Maschinenpistole in die Luft. »Hört mir zu!« schrie er. »Wir haben überlebt, aber wir sind noch nicht gerettet. SS-Verstärkung wird bald eintreffen.« Eine Woge der Furcht lief durch die Menge. »Wir müssen sofort weg von hier. Die beste Hoffnung für uns alle sind die Wälder von Polen. Ich möchte, daß die beiden größten und kräftigsten Frauen in die SS-Baracken gehen und Uniformen anziehen, wie ich sie anhabe. Versucht nicht, die Toten auszuziehen! Das Gas auf ihrer Kleidung könnte euch töten! Sucht nach Uniformen in Schränken oder Kisten. Zehn andere sollten das Lager nach einem Truppentransporter absuchen. Die Lastwagen an der Fabrik sind mit Sicherheit zu sehr verseucht. Berührt nichts, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Auf jeder Oberfläche könnte tödliches Gas sein.«
Während die verängstigten Frauen sich berieten, drehte Avram sich um, streckte den Arm durch die zertrümmerte Hintertür des Krankenhauses und drückte die Klinke mit dem Griff seiner Maschinenpistole herunter. Als er hindurchging, spürte er, wie jemand an seinem Gürtel zog. Er drehte sich um und blickte in die Augen von Rachel Jansen, die ihren dreijährigen Sohn auf der linken Hüfte trug. Die Augen des Jungen waren glasig. Er stand sichtlich unter Schock. »Wohin gehen Sie, Schuhmacher?« fragte Rachel.
»Ich suche nach Geld.«
»Ich will mit Ihnen gehen.«
Avram nickte und führte sie in das dunkle Gebäude.
In einem Büro im ersten Stock fand Avram 100 Reichsmark, aber das war nicht einmal ein Viertel von dem, was er brauchte.
»Wird uns Geld in Polen helfen?« fragte Rachel.
Avram durchwühlte weitere Schubladen, antwortete aber nicht.
»Glauben Sie wirklich, daß wir über die Grenze kommen und Kontakt mit einer uns freundlich gesonnenen Widerstandsgruppe aufnehmen können?«
»Es besteht eine reale Chance.« Avram schlug eine Tür zu und drehte sich zu ihr um. »Aber ich glaube nicht, daß es auch eine gute Chance ist. Sie müssen nicht nach Polen gehen, wenn Sie nicht wollen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Wenn Sie genug Mut haben, dann können Sie mit mir gehen. Ich habe einen Freund in Rostock. Einen Zigeuner. Er hat lange in meinem Geschäft gearbeitet. Er hat mir vor einigen Jahren angeboten, mir zu helfen, aber ich war zu dumm, um die Gefahr zu begreifen. Ich werde versuchen, ihn zu erreichen.«
»Sie meinen, Sie wollen direkt in die Stadt gehen?« fragte Rachel ängstlich.
»Es ist gefährlich«, gab er zu. »Wenn wir mehr Geld hätten, wäre es einfacher. Wir könnten versuchen, uns den Weg nach Rostock zu erkaufen. Ich habe zwar ein bißchen Geld gefunden, aber es reicht nicht, und wir haben nicht genug Zeit, das ganze Lager abzusuchen.«
Rachel schwieg eine Zeitlang und dachte nach; schließlich fragte sie: »Glauben Sie wirklich, daß wir in Rostock die besten Chancen haben?«
»Ich, ja. Sie und Ihr Kind auch. Aber niemand sonst.«
»Ich habe Geld, Schuhmacher.«
»Was? Wieviel?«
»Drei Diamanten. Ich habe sie in der Nacht gefunden, in der Sie mich draußen überrascht haben. In der Nacht, in der Marcus gestorben ist.«
Voller Freude packte Avram sie am Arm. »Dank sei Gott, daß Sie eine so listige Frau sind! Schnell, Sie brauchen eine SS-Uniform. Ich habe eine in einem Schrank gesehen. Sie gehörte einem der Assistenzärzte von Brandt. Ich glaube, Doktor Rauch.«
Sie hörten das Dröhnen des Lastwagens, bevor Rachel mit dem
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