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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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hatte sich die Stadt verändert! Öde wie ausgefegt waren die Gassen und Plätze. Nur an der Ill und vor dem Münster hockten wie Schatten einzelne Bettler. Niemand hätte ihm jetzt einen Platz streitig gemacht. Menschenleer waren der Münsterplatz, der Fischmarkt, der Holzmarkt, der Weinmarkt, der Krautmarkt, die Spießgasse, die Blauwalkergasse, der Fischerstaden, der Metzgergraben, das Viertel der Gerber und das der Mühlen. Die Schläge der Turmuhren klangen laut wie nie, die Schritte hallten. Das Gebimmel der Totenglocken nahm kein Ende.
    Die wenigen Menschen wichen einander aus.
    Christoph machte einen Bogen um die Menschen wie sie um ihn. Woher kam die Pest? Niemand wusste es. Aus der Luft? Aus dem Wasser? Aus der Nahrung? Von anderen Menschen? Keiner konnte es sagen. Ein Erdbeben in Italien sei die Ursache, war von einigen schon vor dem Mord an den Juden gesagt worden, als Herr Wangenbaum von den vergifteten Brunnen gesprochen hatte. Ungünstige Stellung der Sterne, unreine Säfte im Menschen, widrige Südwinde und viele andere Dinge wurden verantwortlich gemacht.
    Man könne die Pest bekommen, nur weil man Angst vor ihr habe. Ja, das bloße Reden von der Pest könne die Krankheit auslösen.
    Dass die Seuche sehr ansteckend war, wusste jeder.
    Woher kamen die Gerüchte, die durch die Stadt gingen wie die Seuche selbst? Kaum jemand redete mit dem anderen, und dennoch: Der eine flüsterte im Vorübergehen, der andere nickte stumm und flüsterte es dem nächsten zu. Zeichen, mit den Händen gemacht, wurden verstanden und weitergegeben. Durch vorgehaltene Tücher, die man in Essig getaucht hatte, wurde getuschelt und geschwatzt. Bei den Brunnen, bei den wenigen Bäckern, die noch arbeiteten, und an den dünn besetzten Fleischbänken stieß man auf Menschen, vermummt und stumm, und dennoch liefen die Gerüchte immer weiter durch die Stadt.
    Laut verlesen wurden die Verordnungen des Rates – es gab jeden Tag neue: Zwiebeln könnten gegen die Pest helfen. Man solle ausgehöhlte Zwiebeln auf die Beulen legen, dann würden sie weich und könnten sich öffnen.
    Die Toten durften nicht mehr in den Kirchen aufgebahrt werden, sie durften auch keine vierundzwanzig Stunden mehr in einem Hause sein, sie mussten sofort begraben werden. Die Totengräber kamen mit ihrer Arbeit nicht mehr nach: Die Standesgenossen mussten die Toten begraben.
    Es hieß aber, in vielen Häusern lägen unbeerdigte Tote, die vergifteten die Luft weiter. Nicht einmal die nächsten Verwandten würden sich um sie kümmern: Es wurde erzählt, Familienmitglieder ließen Pestkranke allein, wenn sie die Krankheit bemerkten, mit dem Vorwand, sie holten einen Arzt. Dann schlossen sie die Türen ab und kämen nicht mehr wieder. So müsse der Kranke an der Pest sterben oder verhungern.
    Es wurde auch berichtet, dass mancher einen Pestkranken versorgt habe und dann selbst einsam und unversorgt an der Pest gestorben sei.
    Viele Kinder waren in der Stadt, die niemand mehr haben wollte – elende Gestalten, halb verhungerte Gesichter, bleich, hohläugig und zerlumpt, lebten sie, ganz ausgesperrt, vom Betteln und Diebstahl. Niemand war mehr da, der für sie sorgte, wenn sie die Seuche bekamen. Unter Brücken oder in verlassenen Häusern fand man dann ihre Leichen. Kaum jemand war da, der sie begrub.
    Es gab Pesthäuser, in denen alle gestorben waren. Der Rat ließ mit Kreide große Kreuze auf Türen und Fenster malen.
    Mit der Zeit wurden die Verordnungen des Rats seltener. Viele Ratsherren seien gestorben und noch mehr seien geflohen.
    Christophs Angst wuchs täglich, dennoch litt es ihn nicht in der Einsamkeit seiner schiefen Behausung.
    Es hieß, man merke es erst nach Tagen, wenn man angesteckt sei. Erst dann breche die Krankheit aus, bis dahin trage man sie bei sich wie ein heimliches Todesurteil und stecke andere an. Man könne mit einem gesunden, rotwangigen Menschen reden, lachen und fröhlich sein, der sei aber vielleicht bereits angesteckt. Vier Tage später sei er krank und weitere vier Tage später sei er tot und schon zeigten sich die ersten Beulen bei einem selbst.
    Man hörte nachts aus Häusern gespenstisches Singen und Johlen. Dort feierten ganz gottlose Menschen, hieß es, die sagten, lieber noch einmal richtig gelebt und das Geld durchgebracht, als in den Kirchen auf den Knien liegen und dann doch sterben – und alles den Erben hinterlassen! Der immer machtlosere Rat hatte solche Feste in den öffentlichen Wirtshäusern verboten, aber es

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