Schwarzes Blut: Thriller (German Edition)
einen weißen Haarschopf. Kichernd klopfte er Gene auf den Rücken. Dann drehte er sich um und nahm die abgewetzte Arzttasche von einem Stuhl neben dem Bett.
»Gene, ich lass dir noch einen Augenblick Zeit. Danach würde ich gerne mit dir reden.«
Gene nickte. Der Doktor verließ keuchend das Zimmer, schloss die Tür und zündete sich im Flur eine Zigarette an.
Gene setzte sich und strich die Falten seiner Uniformhose glatt. »Onkel, als ich zwölf oder dreizehn war, hast du mir mal einen Rat gegeben. Erinnerst du dich noch?« Der Tote gab keine Antwort. »›Gene, tritt niemals an einem heißen Tag in einen Scheißhaufen‹, hast du gesagt. Na ja, wie’s aussieht, hab ich mir einen Riesenhaufen direkt auf die Stiefel geschissen.«
Er sank tiefer in den Stuhl. Sein Kopf ruhte auf seiner Brust, seine Augen fixierten das furchtbare Blumenvasenstillleben, das schief an der Wand hing. Das Ticken der Standuhr drang durch die Wand zum Wohnzimmer. Gene saß noch eine Weile da, dann stand er auf und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Farnsworth saß mit einem Whiskeyglas und einer Zigarette an einem Tisch. Der Doktor hob das Glas.
»Lavender wird schon nichts dagegen haben, wenn ich seinen Schnaps trinke. Willst du auch einen?« Gene schüttelte den Kopf. »Okay. Ich spreche jetzt nicht als Arzt, sondern als Bürgermeister dieser jämmerlichen Stadt. Betrachte dich als stellvertretenden Sheriff.«
Gene schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber das kann ich nicht machen.«
»Schwachsinn, Gene. Bei der nächsten Wahl wird’s dann offiziell, das ist eine sichere Sache.«
»Ich werde nicht antreten.«
»Was ist denn das für ein Unsinn?«
»Bürgermeister, ich kündige.«
»Du schmeißt dein Amt hin?«
»Und ich gehe weg. Ich und mein Junge. Sobald ich das Auto aufgetankt und neue Reifen aufgezogen habe, geht’s los.«
»Ist deine Trauer so groß?« Farnsworth wuchtete sich mühsam aus dem Stuhl.
»Nein, Sir. Ich bin nur der Meinung, es ist höchste Zeit weiterzuziehen«, sagte Gene. »Soll Bobby Heck doch Sheriff werden.«
»Bobby Heck ist ein gottverdammter Schwachkopf.«
»Aber ein ehrlicher Polizist.«
Farnsworths intelligente Augen funkelten Gene an. »Hast du etwas auf dem Herzen, Gene?«
»Nein, Sir.«
»Na dann«, sagte der alte Mann kopfschüttelnd. Trotzdem schüttelte er die Hand, die Gene ihm hinstreckte.
Gene holte seinen Hut, setzte ihn auf und starrte erneut in sein gequältes Gesicht, das sich im Glas des vergilbten Familienfotos spiegelte. Er verließ das Haus und ging zum Streifenwagen, um seinen Jungen abzuholen und nach Norden zu fahren, bis die Straße zu Ende war.
47
Reverend Jimmy Tincup wachte auf, als ihn etwas an seiner schrumpeligen, auf dem dicken Bauch liegenden Männlichkeit kitzelte. Er öffnete ein Auge – was eine ziemliche Anstrengung bedeutete, da seine Lider mit Eiter verklebt waren – und sah eine Fliege, die an dem getrockneten Samen auf seiner Vorhaut knabberte.
Es war ihm unmöglich, den rechten Arm zu heben und die Fliege zu verscheuchen. Offenbar hatte der Cocktail aus Alkohol und Aphrodisiaka, von dem er sich die vergangenen Tage mehr oder weniger ernährt hatte, ein Blutgerinnsel in seinem Hirn verursacht. Panisch riss er den linken Arm hoch und schlug nach der Fliege, die sich unbeeindruckt in die Luft schwang und durch die geöffnete Tür ins grelle Tageslicht brummte.
Seinen anderen Arm konnte Tincup immer noch nicht bewegen. Er war mit einem Kopftuch an das Bettgestell gefesselt. Kleine Erinnerungsfetzen der letzten Nacht detonierten wie Bomben in seinem überforderten Gehirn. Ein wahres Füllhorn an Nutten. Meskal. Und sogar – er dachte mit Scham daran zurück – das Brennen seines eigenen Produkts in den Lungen, hergestellt hier im Milky Way. Damit hatte er sein Gebot, niemals die eigene Ware zu konsumieren, gebrochen.
Tincup setzte sich auf und hustete. Ein Schleimklumpen landete auf seinem bleichen Oberschenkel.
»Marisol!«
Obwohl er einen Schrei beabsichtigt hatte, brachte er nur ein Flüstern heraus. Er versuchte es noch mal. Wieder nur ein Krächzen. Der Alkohol und die Drogen hatten ihn seiner Stimme beraubt.
Tincup löste das Kopftuch von seinem Handgelenk und stand auf. Als der Schwindelanfall etwas nachgelassen hatte, ging er ins Badezimmer, wo er so laut und ausgiebig kotzte, dass ihm der Schweiß hinunterlief. Ein Bart aus Erbrochenem baumelte von seinem Kinn.
Er wischte sich an einem mit Make-up verschmierten
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