Schwarzes Blut
wirklich tot?«
Der Mann blinzelt mich an, als hätte er Gewebeproben in den Augen. »Auf was wollen Sie hinaus?«
»Daß der Kerl schlicht und einfach aufgestanden und hier rausmarschiert ist«, sage ich.
»Das ist wohl ziemlich ausgeschlossen.«
»Und wieso?« hake ich nach.
»Beide Beine waren abgerissen«, sagt der Beamte. »Er war tot. Er lag die ganze Zeit hier im Kühlraum.«
»Haben Sie einen Verdacht, wer die Leiche gestohlen haben könnte?« fragt Joel.
Der Mann richtet sich auf. »Ja. Wir hatten einen Angestellten hier, Eddie Fender. Er ist zur selben Zeit verschwunden wie die Leiche. Er hat sich noch nicht mal sein letztes Gehalt auszahlen lassen. Er hatte hier Nachtschicht und war oft ohne Aufsicht.«
»Was für eine Position hatte er?« fragt Joel.
»Er war Sanitäter oder so was.«
Ich schnaube. »Er hat die Leichen hier präpariert.«
Der Beamte ist beleidigt. »Wir präparieren hier keine Leichen, Kommissarin Perne.«
Schlichtend hebt Joel die Hand. »Haben Sie einen Lebenslauf von dem Kerl? Eine Bewerbung?«
Der Mann nickt. »Kopien davon haben wir bereits der Polizei in Seaside ausgehändigt. Aber Sie können gerne einen Blick auf die Originale werfen. Kommen Sie doch gerade mit in mein Büro, und ich hole sie Ihnen aus den Akten.«
»Geh du schon mal mit«, sage ich Joel. »Ich mach’ mich hier mal ein bißchen schlau.«
Er verdreht die Augen. »Laß die Toten ruhen.«
Ich überprüfe die Schlösser an den Kühlschubladen. Mein ausgeprägter Geruchssinn bringt mich schnell zu der, in der Yaksha gelegen hat. Der Geruch von Schlangengift ist noch immer wahrnehmbar, selbst im Tod und selbst im Eis. Der Geruch entspricht aber nicht genau dem, den ich von vor sechs Wochen oder fünftausend Jahren in Erinnerung habe. Irgend etwas stimmt nicht mit den schwachen Blutspuren hier in der Kühlschublade. Irgendwie sind sie mit etwas verunreinigt worden. Merkwürdige Vibrationen halten sich über dem Hohlraum. Wenn Yaksha wirklich tot ist, hat er diese Welt nicht wie erhofft mit dem Gedanken an Krishna verlassen. Meine Unruhe wächst.
Während Joel noch mit dem Beamten beschäftigt ist, schlendere ich im Leichenschauhaus herum und stoße dabei auf ein Bürozimmer, in dem eine Sekretärin auf dem Schreibtisch sitzt und sich die Fingernägel lackiert. Ich mag Frauen, die ihren Job nicht allzu ernst nehmen. Das Mädchen hier macht sich sogar noch nicht einmal etwas daraus, als ich zu ihr hereinkomme. Natürlich wirke ich auf einige Leute wie ein Teenager. Sie ist ungefähr dreißig und hat eine Ausgabe des National Enquirer und eine Zweiliterflasche Diätpepsi neben ihrem Computer stehen, auf dessen Bildschirm Vorübergehende Störung! flackert. Ihre Lippen ertrinken in roter Farbe; die Haare stehen ihr zu Berge wie eine Perücke aus der Antike. Sie schleppt locker zwanzig Pfund Übergewicht mit sich herum und sieht fröhlich aus. Na ja, vielleicht auch ein wenig schlampig.
»Wow!« macht sie, als sie mich bemerkt. »Was für ein hübsches Ding! Was willst du denn hier in diesem Spukhaus?«
Ich lächele sie an. »Ich bin zusammen mit Kommissar Joel Drake hier. Ich heiße Alisa Perne. Wir untersuchen einen Mordfall.«
Jetzt richtet sie sich auf. »Du bist vom FBI? Du siehst chefinmäßig aus.«
Ich setze mich. »Danke. Und Sie sehen aus wie eine Chefsekretärin.«
Sie nestelt sich eine Zigarette aus der Packung und wischt mit der Hand durch die Luft. »Na klar. Und das hier ist ja auch die Chefetage. Wie kann ich dir helfen?«
»Kannten Sie Eddie Fender?«
»Den Kerl, der die Leiche geklaut hat?«
»Hat er sie geklaut?«
Sie zündet sich die Zigarette an. »Logisch. Der war doch verknallt in die Leiche.« Sie kichert. »Die hat ihm mehr bedeutet als ich.«
»Hatten Sie auch privat mit Eddie zu tun?«
Sie beugt sich vor und pafft ein Wölkchen vor sich hin. »Du meinst, ob ich mit ihm gevögelt habe? Hör zu, Mädel, ich würde mir eher die Kugel geben, als es mit Eddie Fender treiben, wenn du verstehst, was ich sagen will.«
Ich nicke. »Wie heißen Sie?«
»Sally Diedrich. Ich bin aber keine Deutsche, ist bloß der Name. Steht Eddie bei dem Mordfall unter Verdacht?«
»Wir sind nur dabei, Hintergrundmaterial über die Sache aufzutreiben. Ich wäre Ihnen für alles dankbar, was Ihnen dazu einfällt.«
Sally pfeift durch die Zähne. »Ich könnte dir Hintergrundmaterial über den Kerl besorgen, das dich hier schreiend rauslaufen und nix wie abhauen läßt. Hast du ein Minütchen übrig? Dann erzähl ich dir ‘ne
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