Schwarzes Blut
eines Tages erwischte ich ihn dabei, wie er mir mein Autoradio klauen wollte. Er war auf Speed. Wenn er high war, war er manisch: entweder der netteste Kerl auf der Welt oder jemand, der einem die Augen auskratzt. Er hatte seinen Realitätssinn total verloren. Beim Begräbnis seiner Mutter sang er Whole Lot of Love. Zugleich war er jedoch auch ganz schön gerissen. Sein bizarres Verhalten verdeckte seine Schuld. Ich wußte aber einfach, daß er es getan hatte – wie man so schön sagt: Frag mich nicht, warum. Wenn ich mit ihm über seine Mutter sprach, lag irgend etwas in seinen Augen, etwa so, als wäre es ganz toll, daß er jetzt das Haus ganz für sich allein hatte.
Das Problem war bloß, daß ich nicht den leisesten Beweis gegen ihn in der Hand hatte. Ich beobachtete ihn einfach weiter, in der Hoffnung, daß er sich irgendwann einmal verraten würde. Ich war dabei, in eine andere Wohnung umzuziehen, aber während meiner Freizeit heftete ich mich ihm an die Fersen. Ich hatte so ein Gefühl im Magen, daß etwas passieren würde.
Dann kam Halloween, und dieser Scheißkerl saß auf der Veranda und schnitzte eine Riesenkürbislaterne. Er grinste mich widerlich süß an, als ich zum Wagen gehen wollte. In seinem Gesicht lag etwas, das mich sein Messer näher in Augenschein nehmen ließ. Zu der Zeit lief der Prozeß gegen den Freund des Opfers schon auf vollen Touren, und es sah alles andere als gut für ihn aus. Wie schon gesagt, die Frau war erstochen worden, und als ich ihren Sohn und den Kürbis auf seinem Schoß unter die Lupe nahm, fiel mir wieder der Autopsiebericht ein, in dem stand, daß die Haut des Mordopfers ungewöhnlich geriffelte Schnittwunden aufgewiesen hatte. Und dieses Messer hier war ungewöhnlich: Die Schneide hatte unregelmäßige Zacken.
Ich winkte ihm lässig zu und konnte mein Interesse am Messer verbergen, aber am nächsten Tag kreuzte ich mit einem Durchsuchungsbefehl auf. Ich ließ das Messer sicherstellen, und seine Schneide wurde mit den Photos verglichen, die der Autopsiebeamte gemacht hatte. Sie stimmten überein. Lange Rede, kurzer Sinn: Der Sohn wurde schließlich verurteilt. Während wir jetzt hier reden, sitzt er eine lebenslängliche Zuchthausstrafe in Iowa ab.« Joel fügt hinzu: »Alles wegen einer Kürbislaterne.«
»Alles wegen eines aufgeweckten FBI-Agenten«, verbessere ich ihn. »Hat dir der Erfolg bei dieser Sache die Tür zu größeren und anspruchsvolleren Jobs geöffnet?«
»Hat er. Mein Chef war von meiner Beharrlichkeit beeindruckt, und ich wurde auf eine Reihe von zurückliegenden ungelösten Mordfällen angesetzt. Einen von ihnen konnte ich aufklären und wurde befördert. Seitdem arbeite ich an schwierigen Mordfällen in Los Angeles.« Er nickt. »Beharrlichkeit ist der Schlüssel zu den meisten Geheimnissen.«
»Und Phantasie. Warum hast du mir diese Geschichte erzählt?«
Er zuckt mit den Schultern. »Einfach so, um ein bißchen mit einer potentiellen Zeugin zu plaudern.«
»Das nehme ich dir nicht ab. Du willst sehen, wie ich darauf reagiere.«
Er muß lachen. »Was hast du mit mir vor, Alisa? Willst du aus mir einen Helden oder einen Volltrottel machen? Ich habe getan, um was du mich gebeten hattest: Ich habe niemandem erzählt, wohin ich bin. Aber irgendwann heute muß ich schon mal anrufen. Und wenn ich ihnen dann erzähle, daß ich in Oregon mit einer hübschen Blondine durch die Gegend gondele, dann sieht das nicht so besonders gut in meiner Akte aus.«
»Du findest mich hübsch?« hake ich ein.
»Du merkst dir immer die Schlüsselwörter, was?«
»Ja.« Ich füge hinzu: »Du siehst auch gut aus.«
»Danke. Hast du einen Freund?«
»Ja.«
»Ist er ein normaler Mensch?«
Ich fühle einen Stich in der Brust. »Er ist wunderbar.«
»Kann er dir ein Alibi für die letzten beiden Tage besorgen?«
»Nicht nötig. Ich sagte doch schon: Ich war im Kolosseum und habe zugesehen, wie jemanden der Hals umgedreht und jemand anderem die Brust durchbohrt wurde. Wenn darin Schuld liegt, dann bin ich schuldig wie der Teufel.«
»Hast du keine Bedenken, das alles hier einem FBI-Agenten zu erzählen?«
»Sehe ich aus, als hätte ich Bedenken?«
»Nein. Das ist es, was mir Bedenken macht.« Seine Stimme nimmt wieder einen geschäftsmäßigen Ton an. »Wie hat diese abnormale Person dem jungen Mann das Genick gebrochen?«
»Mit bloßen Händen.«
»Das ist unmöglich.«
»Ich sagte doch: Stell gar nicht erst solche Fragen. Warten wir, bis wir in Mayfair sind, und schauen
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