Schwarzes Echo
einzuwenden gehabt. Im Gegenteil, er genoß sie meistens, wenn er in netter Gesellschaft war. Nette Gesellschaft bedeutete für ihn nicht etwa Konversation, sondern genau das Gegenteil davon. Wenn man nicht reden mußte, um sich wohl zu fühlen, war das die richtige Gesellschaft. Bosch dachte über den Fall nach und sah sich den Verkehr an, der am Tresor vorüberfuhr. Er rekapitulierte die Ereignisse in ihrer chronologischen Reihenfolge, vom Anfang bis jetzt. Führte sich Szenerien vor Augen, lauschte noch einmal den Gesprächen. Er hatte festgestellt, daß diese Art der Erinnerung ihm bei der nächsten Entscheidung oder dem nächsten Schritt half. Was er sich jetzt besonders durch den Kopf gehen ließ, woran er herumbohrte wie mit der Zunge an einem losen Zahn, war die Fahrerflucht. Der Wagen, der sie am Abend vorher hatte überfahren wollen. Wieso? Was hatten sie zu diesem Zeitpunkt gewußt, daß sie so gefährlich waren? Es kam ihm äußerst unklug vor, einen Cop und einen FBI-Agenten zu ermorden. Warum hatte man es versucht? Seine Gedanken schweiften zurück zu der Nacht, die sie zusammen verbracht hatten, nachdem alle Fragen gestellt waren. Eleanor war aufgewühlt gewesen. Mehr noch als er. Als er sie im Bett in den Armen gehalten hatte, kam er sich vor, als beruhigte er ein verängstigtes Tier. Und er umarmte und streichelte sie, während sie gegen seinen Hals atmete. Sie hatten sich nicht geliebt. Sie hatten sich nur umarmt. Es war ihnen irgendwie intimer vorgekommen.
»Denkst du an gestern abend?« fragte sie.
»Woher weißt du?«
»Geraten. Fällt dir was dazu ein?«
»Na, ich fand, es war schön. Ich fand, wir …«
»Ich rede davon, wer uns gestern abend überfahren wollte.«
»Oh. Nein, keine Ahnung. Ich dachte an hinterher.«
»Oh … ich hab’ mich noch gar nicht bei dir bedankt, Harry. Dafür, wie du zu mir warst, daß du nichts erwartet hast.«
»Ich sollte mich bei dir bedanken.«
»Du bist süß.«
Wieder drifteten sie in ihre eigenen Gedanken ab. Gegen die Tür gelehnt, den Kopf an der Seitenscheibe, wandte sich Bosch kaum noch vom Tresor ab. Auf dem Wilshire herrschte nur spärlicher, wenn auch stetiger Verkehr. Leute, die zu den Clubs drüben am Santa Monica Boulevard oder beim Rodeo Drive fuhren oder von dort kamen. Wahrscheinlich fand in der nahegelegenen Academy Hall gerade eine Premiere statt. Es schien Bosch, als versammelten sich heute nacht sämtliche Limousinen der Stadt auf dem Wilshire. Stretch-Limos aller Marken und Farben rollten vorbei, eine nach der anderen. Sie waren schön und faszinierend mit ihren schwarzen Scheiben. Wie exotische Frauen mit Sonnenbrillen. Ein Wagen nur für die Stadt, dachte Bosch.
»Ist Meadows schon beerdigt worden?«
Sie überraschte ihn. Er fragte sich, wie sie darauf gekommen war. »Nein«, antwortete er. »Montag, drüben auf dem Veteranenfriedhof.«
»Eine Beerdigung am Memorial Day. Wie passend. Dann hat sein Leben als Krimineller ihn also nicht disqualifiziert, in heiliger Erde bestattet zu werden?«
»Nein. Er war in Vietnam. Sie haben ihm ein Grab reserviert. Mir wahrscheinlich auch. Warum fragst du?«
»Ich weiß nicht. Ich hab nur so dran gedacht. Gehst du hin?«
»Wenn ich nicht hier sitze und diesen Tresor bewache.«
»Das wäre nett von dir. Schließlich hat er dir mal was bedeutet. An einem bestimmten Punkt in deinem Leben.«
Er ging nicht darauf ein, aber dann sagte sie: »Harry, erzähl mir von dem schwarzen Echo. Was du neulich gesagt hast. Was hast du damit gemeint?«
Zum ersten Mal wandte er sich vom Tresor ab und sah Eleanor an. Ihr Gesicht lag im Schatten, aber Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos erhellten kurz den Innenraum des Wagens, und er konnte sehen, daß ihre Augen auf ihn gerichtet waren. Er wandte sich wieder dem Tresor zu.
»Da gibt es eigentlich nichts zu erzählen. Es war Teil des Unbestimmbaren.«
»Des Unbestimmbaren?«
»Es gab keine Bezeichnung dafür, also haben wir uns eine ausgedacht. Es war die Dunkelheit, die feuchte Leere, die du gefühlt hast, wenn du allein da unten in diesen Tunneln warst. Du fühltest dich dort wie tot. Tot und begraben in der Finsternis. Aber du warst am Leben. Und du hattest Angst. Dein eigener Atem hallte aus der Finsternis zurück, laut genug, dich zu verraten. Oder zumindest glaubtest du das. Ich weiß nicht. Es ist schwer zu erklären. Eben … das schwarze Echo.«
Sie ließ etwas Zeit vergehen, bevor sie sagte: »Ich finde, es wäre nett, wenn du bei der
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