Schwarzes Echo
leichte Uringeruch auf. Er ging zurück ins Schlafzimmer. Er zog die Schubladen der Kommode auf und sah sich deren Inhalt noch mal an. Ihm fiel nichts auf. Er trat ans Fenster und sah die Rückseite eines weiteren Apartmenthauses auf der anderen Seite der Gasse. Unten stand ein Mann vor einem Einkaufswagen. Mit seinem Knüppel stocherte er in einem Müllcontainer herum. Der Wagen war voller Aluminiumdosen. Bosch trat zurück, setzte sich auf das Bett und lehnte den Kopf gegen die Wand, wo ein Brett hätte sein sollen und die weiße Farbe schmuddelig grau war. Die Wand in seinem Rücken fühlte sich kühl an.
»Erzähl mir was«, flüsterte er in die Leere hinein.
Er war sicher, daß irgend etwas das Kartenspiel unterbrochen hatte und Meadows hier gestorben war. Dann hatte man ihn zu dem Rohr gebracht. Aber wieso? Warum hatte man ihn nicht liegen lassen? Bosch lehnte den Kopf an die Wand und starrte geradeaus. Genau in dem Augenblick bemerkte er den Nagel in der Wand gegenüber. Der Nagel steckte etwa einen Meter über der Kommode, und irgendwann hatte man ihn zusammen mit der Wand weiß gestrichen. Deshalb war er ihm nicht aufgefallen. Er stand auf und ging hinüber, um hinter der Kommode nachzusehen. In dem zehn Zentimeter breiten Spalt zwischen Schrank und Wand sah er den Rand eines heruntergefallenen Bilderrahmens. Mit der Schulter schob er die schwere Kommode von der Wand ab und hob den Rahmen auf. Er trat zurück und setzte sich auf die Bettkante, um ihn zu betrachten. Das Glas war zersprungen, wahrscheinlich beim Herunterfallen. Das kaputte Glas verdeckte zum Teil ein 20 x 25 cm großes Schwarzweißfoto, das körnig und an den Rändern bräunlich vergilbt war. Das Foto war sicher über zwanzig Jahre alt. Bosch erkannte es, weil er zwischen zwei Sprüngen im Glas sah, wie sein eigenes, junges Gesicht ihn anlächelte.
Bosch drehte den Rahmen um und bog vorsichtig die Blechklammern zurück, die die Pappe an der Rückseite hielten. Als er das vergilbte Foto herausschob, gab das Glas schließlich nach und die Scherben fielen zu Boden. Er betrachtete die Fotografie. Weder vorn noch hinten war ersichtlich, wann sie gemacht worden war. Aber er wußte, sie mußte irgendwann Ende 1969 oder Anfang 1970 entstanden sein, da einige der Männer auf dem Bild danach nicht mehr gelebt hatten.
Sieben von ihnen waren auf dem Bild. Alles Tunnelratten. Alle ohne Hemden und stolz auf ihre Sonnenbräune und die Tätowierungen. Die Hundemarken waren zusammengeklebt, damit sie nicht klapperten, wenn die Männer durch die Tunnel krochen. Es mußte der Echo-Sektor im Cu-Chi-Distrikt gewesen sein, aber Bosch konnte sich nicht erinnern, in welchem Dorf. Die Soldaten standen in einem Schützengraben zu beiden Seiten eines Tunneleingangs, der nicht breiter war als die Röhre, in der man Meadows tot aufgefunden hatte. Bosch betrachtete sich selbst und fand sein Grinsen auf dem Foto albern. Es war ihm peinlich angesichts dessen, was ihnen nach diesem Augenblick noch bevorgestanden hatte. Dann betrachtete er Meadows auf dem Foto und sah das schmale Lächeln und den leeren Blick. Die anderen hatten immer gesagt, Meadows hätte einen Tausendmeterblick in einem Drei-mal-drei-Meter-Zimmer.
Bosch sah auf das Glas zwischen seinen Füßen hinab und fand einen rosafarbenen Zettel von der Größe eines Baseballtickets. Mit spitzen Fingern sammelte er ihn auf und untersuchte ihn genau. Es war ein Pfandschein aus einem Laden in der Innenstadt. Der Kundenname lautete auf William Fields. Ein verpfändeter Gegenstand war angegeben: ein antikes Armband, Gold mit Einlegearbeiten aus Jade. Das Datum auf dem Schein lag sechs Wochen zurück. Fields hatte 800 Dollar für das Armband bekommen. Bosch steckte den Zettel in eine Klarsichthülle aus seiner Tasche und stand auf.
Wegen des Verkehrs zum Dodger Stadion dauerte die Fahrt in die Innenstadt eine Stunde. Bosch vertrieb sich die Zeit damit, über das Apartment nachzudenken. Es war durchsucht worden, aber Edgar hatte recht. Es war in Eile geschehen. Die Hosentaschen waren der deutliche Hinweis. Zumindest die Schubladen hätte man ordentlich zurückschieben können, und das Foto und den versteckten Pfandschein hätten sie nicht übersehen dürfen. Wozu die Eile? Er schloß daraus, daß Meadows’ Leiche noch im Apartment gelegen hatte. Sie mußte weg.
Bosch bog am Broadway ab und fuhr südlich am Times Square vorbei zu der Pfandleihe im Bradbury Building. An den meisten Wochenenden war es in Downtown L. A.
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