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Schwarzes Echo

Schwarzes Echo

Titel: Schwarzes Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Ecken bräunlich verfärbt. Sie waren brüchig, ganz wie die Erinnerungen, die diese Fotos wachriefen. Einzeln nahm er die Schnappschüsse in die Hand und betrachtete sie, war sich irgendwann darüber im klaren, daß er sie nie eingeklebt hatte, weil es ihm gefiel, die Bilder in der Hand zu halten, sie zu fühlen.
    Die Fotos waren allesamt in Vietnam aufgenommen. Wie das Bild, das er in Meadows’ Wohnung gefunden hatte, waren auch diese größtenteils schwarzweiß. Damals war es in Saigon billig gewesen, einen Schwarzweißfilm entwickeln zu lassen. Auf einigen Bildern war Bosch zu sehen, aber bei den meisten handelte es sich um Aufnahmen, die er mit einer alten Leica gemacht hatte. Sein Pflegevater hatte sie ihm vor der Abreise gegeben, ein Friedensangebot des alten Herrn. Er war dagegen, daß Harry ging, und es hatte Streit darum gegeben. Deshalb wurde die Kamera verschenkt. Und angenommen. Aber Bosch gehörte nicht zu denen, die Geschichten erzählten, als sie heimkehrten, und die Fotos wurden über die Seiten des Albums verteilt, gar nicht erst eingeklebt und kaum jemals angesehen.
    Wenn es ein wiederkehrendes Thema dieser Fotos gab, dann waren es lächelnde Gesichter und Tunnel. Auf fast allen Bildern sah man Soldaten, die mit herausfordernden Posen am Schlund eine Lochs standen, das sie wahrscheinlich gerade gestürmt und erobert hatten. Auf einen Außenstehenden mußten die Bilder fremdartig wirken, vielleicht sogar faszinierend. Für Bosch waren sie unheimlich, wie Zeitungsfotos von Leuten, die in Autowracks eingeklemmt waren und darauf warteten, von den Feuerwehrmänner befreit zu werden. Die Bilder zeigten lächelnde Gesichter junger Männer, die in die Hölle hinabgestiegen und wieder herausgekommen waren, um in die Kamera zu lächeln. »Aus heiterem Himmel ins finstere Loch« nannten sie es, wenn sie in einen Tunnel gingen. Jeder einzelne ein schwarzes Echo. Nur Tod in seinem Inneren. Und dennoch stiegen sie hinein.
    Bosch blätterte eine rissige Seite um, und dort starrte ihn Billy Meadows an. Die Aufnahme war zweifellos wenige Minuten nach dem Foto entstanden, das Bosch in Meadows’ Wohnung gefunden hatte. Dieselben Soldaten. Derselbe Schützengraben und derselbe Tunnel. Echo Sektor, Cu-Chi-Distrikt. Nur war Bosch nicht auf diesem Bild, weil er den Schnappschuß gemacht hatte. Seine Leica hatte Meadows’ leeren Blick und das bekiffte Grinsen eingefangen – seine blasse Haut sah wächsern aus, aber straff. Er hatte den wahren Meadows eingefangen, dachte Bosch. Er legte das Foto auf das Blatt zurück und blätterte weiter. Das nächste zeigte ihn selbst, niemanden sonst. Er erinnerte sich genau daran, wie er die Kamera auf dem Holztisch in einer Hütte postiert und den Timer eingestellt hatte. Dann war er vor die Kamera getreten. Sie hatte geklickt, zeigte, wie er ohne Hemd dasaß und das Sonnenlicht durch das Fenster auf die Tätowierung an seiner sonnengebräunten Schulter fiel. Hinter ihm, wenn auch unscharf, sah man zwischen dem Stroh am Boden der Hütte den dunklen Eingang zu einem Tunnel. Der Tunnel war eine verschwommene, bedrohliche Finsternis wie der grauenhafte Mund auf Edward Munchs Gemälde Der Schrei.
    Während er das Foto betrachtete, erinnerte sich Bosch, daß es den Tunnel in einem Dorf zeigte, das sie Timbuk 2 genannt hatten. Sein letzter Tunnel. Auf diesem Bild lächelte er nicht. Seine Augen saßen in tiefen Höhlen. Und auch jetzt, als er es ansah, lächelte er nicht. Er hielt das Foto in beiden Händen, rieb geistesabwesend seine Daumen am Rand auf und ab. Er starrte das Foto an, bis Erschöpfung und Alkohol ihn in einen Dämmerzustand sinken ließen. Beinahe traumähnlich. Er erinnerte sich an diesen letzten Tunnel, und er erinnerte sich an Billy Meadows.

    Drei von ihnen gingen hinein. Zwei von ihnen kamen heraus. Der Tunnel war bei einer Routinedurchsuchung in einem kleinen Dorf im E-Sektor entdeckt worden. Das Dorf hatte keinen Namen auf den Karten, deshalb nannten die Soldaten es Timbuk 2. Überall tauchten diese Tunnel auf, und es waren nicht genug Ratten da, sie anzugehen. Als unter einem Reiskorb in einer Hütte der Tunneleingang entdeckt wurde, wollte der Sergeant nicht warten müssen, bis ein Hubschrauber mit neuen Ratten landete. Er wollte weiterkommen, aber er wußte, daß der Tunnel überprüft werden mußte. Also fällte er eine Entscheidung, wie sie so oft im Krieg getroffen wurde. Er schickte drei seiner eigenen Männer hinein. Drei Jungfrauen, die Hosen voll,

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