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Schwarzes Echo

Schwarzes Echo

Titel: Schwarzes Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Arrestbänke standen und der zu den Zellen führte. Mitten im Gang, auf halbem Weg zum Verwahrzimmer, saß ein weißer Junge mit blonden Dreadlocks an eine Bank gekettet. Ein Jugendlicher, höchstens siebzehn, dachte Bosch. Es war gegen das Gesetz, sie mit Erwachsenen zusammen in eine Zelle zu stecken. Was dasselbe war, als sagte man, für einen Kojoten wäre es zu gefährlich, seinen Zwinger mit Dobermännern zu teilen.
    »Was glotzt du so, Arschgesicht?« rief der Junge über den Gang.
    Bosch sagte nichts. Er streute eine Tüte Kaffee in den Papierfilter. Ein Uniformierter streckte seinen Kopf aus dem Büro des Schließers unten im Gang hervor.
    »Ich hab’ es dir gesagt«, schrie der Uniformierte den Jungen an. »Einmal noch, und ich zieh’ die Handschellen eine Nummer fester. Halbe Stunde, und du spürst deine Hände nicht mehr. Womit willst du dir dann den Arsch abwischen?«
    »Da werd’ ich wohl deine blöde Fresse nehmen müssen.« Der Uniformierte trat auf den Gang hinaus und ging auf den Jungen zu, machte lange, wütende Schritte mit seinen harten, schwarzen Schuhen. Bosch schob den Filter in die Kaffeemaschine und stellte sie an. Er ließ die Tür zum Gang hinter sich und trat an den Tisch für die Mordsachen. Er wollte nicht sehen, was mit dem Jungen passierte. Er zog seinen Stuhl vom Tisch rüber zu einer der Gemeinschaftsschreibmaschinen. Die Formblätter, die er brauchte, steckten in Fächern in einem Bord an der Wand über der Maschine. Er legte ein leeres Tatortformular in die Schreibmaschine ein. Dann nahm er sein Notizbuch und schlug die erste Seite auf. Nachdem er zwei Stunden getippt, geraucht und schlechten Kaffee getrunken hatte, hing eine bläuliche Wolke um die Deckenlampen über dem Tisch, und Bosch hatte die unzähligen Formblätter ausgefüllt, die zu einer Morduntersuchung gehörten. Er stand auf und machte im hinteren Gang Kopien. Ihm fiel auf, daß der Junge nicht mehr da war. Dann nahm er einen neuen blauen Ordner aus dem Schrank mit den Büromaterialien – nachdem er die Tür mit seinem LAPD-Ausweis geknackt hatte – und hakte einen Satz getippter Berichte in die drei Ringe. Den anderen Satz versteckte er in einem abgewetzten blauen Ordner, den er in einer Aktenschublade aufbewahrte und auf dem der Name eines alten, ungelösten Falles stand. Als er fertig war, las er sein Werk noch einmal durch. Ihm gefiel die Ordnung, die der Papierkram einem Fall gab. Bei vielen früheren Fällen hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, sich die Mordakte jeden Morgen wieder durchzulesen. Es half ihm, Theorien zu entwickeln. Der Geruch von neuem Plastik erinnerte ihn an andere Fälle und belebte ihn. Er war wieder auf der Jagd. Die Berichte, die er geschrieben und in der Mordakte abgeheftet hatte, waren allerdings nicht komplett. Im »Chronologischen Bericht des untersuchenden Beamten« hatte er einiges von seinem Sonntagnachmittag und dem Abend ausgelassen. Er hatte es unterlassen, die Verbindung zu erwähnen, die er zwischen Meadows und dem Einbruch in der WestLand Bank festgestellt hatte. Die Besuche in der Pfandleihe und bei Bremmer in der Times hatte er ebenso ausgelassen. Es gab auch keine maschinegeschriebenen Zusammenfassungen dieser Gespräche. Es war erst Montag, der zweite Tag. Er wollte warten, bis er beim FBI gewesen war, bevor er diese Informationen der offiziellen Akte hinzufügte. Vorher wollte er wissen, was genau vor sich ging. Es war eine Vorsichtsmaßnahme, die er bei jedem Fall traf. Er verließ das Büro, bevor irgend einer der anderen Detectives eingetroffen war.

    Gegen neun Uhr war Bosch in Westwood angekommen und saß im siebzehnten Stock des Federal Building am Wilshire Boulevard. Das Wartezimmer beim FBI war schmucklos, die üblichen Sofas mit Plastikpolstern und zerkratzte Kaffeetischchen. Auf nachgemachtem Holzfurnier lagen alte Ausgaben des FBI Bulletin verteilt. Bosch wollte weder lesen noch sich setzen. Er stand vor den dünnen, weißen Vorhängen an den Fenstern, die von der Decke bis zum Boden reichten, und sah hinaus. Die Nordlage bot einen Ausblick, der vom Pazifik ostwärts um den Rand der Santa Monica Mountains bis nach Hollywood reichte. Die Vorhänge lagen wie eine Nebelschicht über dem Smog. Er stand da – seine Nase berührte beinahe den weichen Stoff – und sah nach unten über den Wilshire zum Veteranenfriedhof. Die weißen Steine wuchsen aus dem gepflegten Rasen wie Reihen von Babyzähnen. In der Nähe des Friedhofseingangs fand eine Beerdigung

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