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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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Jahre – endlich mit Erlösung rechnen durften. Mochte es noch Monate, ja vielleicht Jahre dauern, aber sie würden freikommen.
    Eine Hürde hatte Lorenz bereits genommen. Im Mai 1956 sah sich das Gericht in Saratow gezwungen, das Verfahren gegen ihn aus dem Jahr 1938 für «nichtig» zu erklären. Er war also rehabilitiert. Von sich aus waren die Richter nicht aktiv geworden. Lorenz hatte gedroht, alle, die mit seinem Fall befasst waren, selbst vor Gericht zu bringen. Ein unerhörter Vorgang. Denn ein «Ehemaliger» hatte allenfalls zu bitten und zu hoffen, nicht zu drohen. Und noch wenige Wochen zuvor hätten sich die Herrschaften an der Wolga über so viel Dreistigkeit empört. Eine Anklage gegen einen der Ihren? Eine weitere Frist für den unverschämten Deutschen wäre die angemessene Antwort. Fünf, besser zehn Jahre, so wäre es richtig.
    Doch da war der neue Mann im Kreml.
    Meinte er es mit dem Aufräumen wirklich ernst? Und wenn ja, dann konnte aus einem banalen Fall, wie dem dieses deutschen Emigranten, plötzlich eine Riesengeschichte werden. Also zog man es in Saratow vor, lautlos zu handeln. Ein Genosse Hilko von der Staatsanwaltschaft machte das Papier fertig, und die Vorsitzende Richterin Badina erledigte die Angelegenheit zügig. So hatte Lorenz seine Rehabilitierung schon in der Hand, da trauten sich andere noch nicht einmal, den Antrag zu stellen.
    Nun saß er hier, auf der Krim, in einer kühlen Kate aus Lehmziegeln, trank mit Onkel Wasja Wein, während draußen die Frauen auf der Bank irgendwie sehr normal und beruhigend schwatzten. Hin und wieder drangen aufgeregte Schreie der Kinder vom anderen Ende des Gartens herüber, sie mussten wohl im Teich eine Ringelnatter gesehen haben.
    Das Eis der Workuta war jetzt so unwirklich, so weit weg wie die Rückseite des Mondes.
    Dann hörte er Schritte auf dem Hof und eine tiefe Stimme. Sofort wurde es still. Lena stürzte ins Zimmer:
    «Lorenz, da sind zwei von der Miliz! Die fragen nach dir!»
    Er nahm sein Hemd von der Stuhllehne, schaute zu Onkel Wasja, als wollte er sagen, keine Angst, es geht gleich weiter, und ging hinaus. Die Milizionäre sahen aus, wie eben zwei Milizionäre aussehen: stämmig, in blauer Uniform und ziemlich ausgetretenen Schuhen. Der eine hielt seine Schirmmütze unter dem Arm und wischte sich mit einem sehr großen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Der andere schwitzte unter seiner Mütze weiter.
    «Was ist passiert? Womit kann ich Ihnen helfen?»
    Lorenz gab sich gelassen, obwohl er alles andere als gelassen war. Als Besucher aus Workuta hatte er mit seinem Paragraph 38 im Passport die Auflage, sich einmal wöchentlich im Dorfsowjet zu melden. Das tat er, ohne lange zu lamentieren. Ja, es war unverschämt. Ja, es war demütigend. Aber es war nicht zu ändern. Er brachte es hinter sich, und damit Schluss. Dass ihn nun die Miliz aufsuchte, war unangenehm, konnte aber auch harmlos sein.
    «Bürger Logofen? Dürften wir Sie allein sprechen?»
    Der Milizionär mit der Mütze setzte ein bedeutungsvolles Gesicht auf. Inzwischen hatte sich der gesamte Hof um sie herum versammelt: Lena, die Hausbesitzerin Tante Lida, die Kinder, die Nachbarzwillinge Olga und Mascha, Lidas Sohn Adik und Onkel Wasja.
    Zu dritt gingen sie in das Zimmer, in dem die Weinflasche einladend auf dem Tisch stand. Lorenz bot den Milizionären ein Gläschen an, doch die lehnten ab.
    Kein gutes Zeichen.
    Onkel Wasja blieb auf dem Hof. Mit einem Auge hatte Lorenz mitbekommen, dass er die beiden kennen musste. Sollte er etwa mit dem Besuch der Staatsmacht etwas zu tun haben? Lorenz ging im Kopf durch, was sie in den letzten Tagen gesprochen hatten. Er fand nichts, was eine Denunziation lohnte, aber wissen konnte man das nie.
    «Sie sind», der Milizionär mit der Mütze schaute auf einen Zettel und buchstabierte, «Lorenz Lorenzowitsch Logtgofen?»
    «Ja, das bin ich. Warum fragen Sie?»
    «Sie werden es gleich erfahren. Sie kommen aus Workuta?»
    «Ja, aus Workuta, worum geht es?»
    «Wo waren Sie heute am Vormittag?»
    Der mit der Mütze legte seine Tasche ab, holte ein kariertes Schulheft heraus und machte sich mit einem Bleistift in der Hand darauf gefasst, das Gespräch zu protokollieren.
    «Das ist schnell erzählt. Am Meer war ich, mit meiner Frau und den Kindern, wir sind am Morgen los. Und so gegen vier Uhr kamen wir zurück. Seitdem sind wir hier. Ist etwas vorgefallen?»
    «Dazu kommen wir noch. Wo waren Sie am Meer? In Feodossija? Wer kann das

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