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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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Feststellung eine Anerkennung für Lwow bedeutete oder Kritik an den verkommenen Verhältnissen im Parteiapparat. Mit Lwow musste er das nicht erörtern.
    «Setzen Sie sich doch, Alexander Viktorowitsch. Ich glaube, das ist ein guter Anlass anzustoßen.»
    Als die Flasche leer auf dem Tisch stand, waren Alexander und Lorenz per Du und hatten das dringende Bedürfnis, die neu gewonnene Freundschaft zu vertiefen. Da es in der Werkstatt nichts mehr zu Trinken gab und der Lebensmittelladen neben dem 8. Schacht längst geschlossen hatte, lud Lorenz Lwow kurzerhand zu sich nach Hause ein. Dort stand noch eine kleine Reserve.
    Fröhlich plaudernd machten sie sich auf den Weg am Fluss entlang Richtung Wohnsiedlung. Angekommen, setzte Lorenz den Gast am Küchentisch ab und goss zur Begrüßung jedem ein Teeglas Wodka ein. Voll, natürlich. Er entschuldigte sich, erst kamen die Hunde. Kara, die kluge schwarze Schäferhündin, und Tarzan, deren einstiger Welpe und nunmehrige Schrecken des Hofes. Der Vater Tarzans, ein sibirischer Laika, hatte ihm das dichte Fell vererbt, seiner Mutter Kara verdankte er die Wendigkeit. Beides machte ihn bei seinen Kämpfen praktisch unverwundbar.
    Die Hunde schauten ihren Herrn vorwurfsvoll an. Das, was sie am Morgen zu fressen bekommen hatten, war längst vergessen. Auch wenn die Nachbarin sie am Tag hinausließ, die Abwesenheit der Hausherrin und der Kinder missfiel ihnen. Aber das tägliche Gemaule der beiden kannte Lorenz schon. So hatte er vorgesorgt. Jeden Tag, ehe er zur Arbeit ging, stellte er einen großen Topf auf den Herd, gab Kartoffeln oder Nudeln, aber auch Knochen und etwas Rentierfleisch hinein und ließ das Ganze, während er sich fertig machte, köcheln. Nun brauchte er die Hundemahlzeit nur noch aufzuwärmen. Denn kalt schmeckt bekanntlich kein Eintopf.
    Der Ataman schmunzelte in sich hinein. Mit dem Glas Wodka in der Hand, das Lorenz nicht vergaß, wieder nachzufüllen, ging er näher an den Herd heran.
    «Sag mal, was treibst du da eigentlich? Du hast mir doch selbst gesagt, dass es keine Umstände macht, wenn ich mitkomme. Nun kochst du auch noch. Komm, setz dich an den Tisch, lass uns reden.»
    «Zum Reden ist gleich Zeit. Erst muss ich das Futter für die beiden fertig machen. Sie haben es verdient. Schließlich bewachen sie das Haus, wenn ich nicht da bin.»
    Der Gast beugte sich neugierig über den Topf, wedelte mit der offenen Hand etwas Dampf in seine Nase, schaute Lorenz erst anerkennend und dann erneut ungläubig an:
    «Das ist jetzt aber nicht dein Ernst. Das riecht so herrlich wie der Borschtsch meiner Großmutter. Ich habe den ganzen Tag nichts Richtiges gegessen.» Lwow schluckte vernehmlich. «Und du bist sicher, dass diese Suppe für deine Hunde ist? Ihr Deutschen …»
    Und dann, als sei der Entschluss gerade gereift, sagte er:
    «Also, wenn es dir nichts ausmacht, gib mir auch einen Teller. Etwas Schlechtes wird ja nicht drin sein?»
    «Nein, nein. Alles beste Zutaten. Manchmal gibt es auch Fisch. Dann nennen wir es Fischsoljanka.»
    Lorenz füllte den Teller für Lwow. Die Hunde beobachteten es mit sichtbarem Missvergnügen. Sie wussten, es ging von ihrem ab.
    Der Abend zog sich hin.
    Es blieb nicht bei dem zweiten Halbliter. Die Zunge des Gastes bewegte sich schwer, es dauerte eine Ewigkeit, den einfachen Satz «In dieser Stadt sind alle kor … kor … korrupt, ich muss es jaa … wissen» zu vollenden.
    Schließlich, nachdem Kara auf Geheiß ihres Herrn zum dritten Mal ihr Gesangstalent vorgeführt hatte – sie konnte tatsächlich mit hoher Wolfsstimme einer eingeübten Melodie folgen –, war klar, dass Lwow an diesem Abend nicht mehr imstande sein würde, das Haus zu verlassen. Mehrere Versuche aufzustehen scheiterten. Immer wieder vor sich hin brabbelnd:
    «Nitschewo, Nitschewo.» Was so viel bedeuteten sollte wie alles bestens, alles bestens. Seinen Protesten zum Trotz hievte ihn Lorenz auf die Liege im Wohnzimmer, zog ihm die Schuhe aus und hatte ihn noch nicht zugedeckt, da schnarchte Lwow schon.
    Die Hunde drängelten, wollten hinaus. Lorenz ermahnte Kara, auf den Draufgänger Tarzan aufzupassen, und schloss die Tür hinter ihnen. Mit ihrer Rückkehr war nicht vor dem Morgen zu rechnen. Hinter den Häusern begann die Wildnis, überall roch es nach Polarhasen, nach Füchsen, nach Rebhühnern. Sofort waren sie in der Dunkelheit verschwunden.
    Lorenz ging ins Bett. Die Aussicht, in einer Woche im Zug zu sitzen und zu den Kindern ans Meer zu

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