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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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1938 wäre es mit der Hilfe der sowjetischen Freunde fast passiert …»
    «Nein, natürlich trauen wir dir, wie könnten wir nicht, aber …»
    Kaden machte mit dem Bleistift, ohne dass Lorenz es sehen konnte, auf dem Blatt hinter dem Namen Lochthofen ein dünnes, kaum sichtbares Fragezeichen. Der Gesprächspartner ließ gegenüber einem wichtigen Mitarbeiter des ZK eindeutig die nötige Ehrfurcht vermissen. Er hielt den Zeitpunkt für gekommen, den viel zu selbstbewussten Rückkehrer mit harten Fakten zu konfrontieren.
    «Was aber ?» griff Lorenz die Worte auf.
    «Kennst du das?»
    Der ZK-Mann schob Lorenz eine Broschüre zu. Ein zerschlissenes Heftchen, sah aus wie ein Groschenroman. Rot und weiß, verziert mit Stacheldraht, Hammer und Sichel. Dazu in fetten Lettern, quer darüber, der reißerische Titel: «Die größte Sklaverei der Weltgeschichte».
    «Was habe ich damit zu tun?»
    «Das ist eine berechtigte Frage. Was hat das Machwerk mit dir zu tun? Das Heft haben die Nazis in hoher Auflage unter die Massen gebracht. Schmutz und Lügen über die Sowjetunion. Und du kommst auch drin vor.»
    «Ich?»
    Lorenz schaute das Heft verständnislos an.
    «Ja. Du. Lorenz Lochthofen. Als Zeuge. Vielmehr als einer der Zeugen. Kennst du einen Kajetan Klug?»
    «Kajetan? Na klar, ein Mitgefangener in Workuta.»
    Erst jetzt erkannte er auf der Titelseite unten, in deutlich kleinerer Schrift, den Namen des Autors.
    Dass Kajetan die Flucht aus Russland gelungen war, wusste er. Die Mutter hatte Lorenz von einem Brief geschrieben, in dem Kajetan ihr das Schicksal des Sohnes schilderte. Lorenz war dem Freund dankbar, doch er fragte sich auch, wie es Kajetan gelungen war, die Sowjetunion zu verlassen. Von einer Propagandageschichte der Nazis wusste er nichts. Wie auch? Nun galt Kajetan nicht gerade als großer Denker, als geborener Schreiber erst recht nicht. Eher das Gegenteil. Einen Satz aufs Papier zu bringen war für ihn eine Qual. Jetzt sollte der Österreicher ein ganzes Heft vollgeschrieben haben? Da konnte etwas nicht stimmen.
    «Da, wo der Zettel liegt, da taucht dein Name auf.»
    Kaden stocherte mit dem Finger zwischen den Seiten. Lorenz las. Tatsächlich, der Fall, der dort geschildert wurde, betraf ihn und seine Familie. Schnell überflog er den Text. Auch wenn einiges verdreht, anderes dazugedichtet war, die Grundaussage stimmte.
     
    «Ein weiterer erschütternder Fall von Menschenraub in meinem Bekanntenkreis ist das Schicksal der Familie Lochthofen. Dieser Lochthofen war aus seiner Heimat Purscholfen (Rhein) im Jahre 1929 nach Moskau gefahren, um als Arbeiterstudent an der Westuniversität zu studieren. Nach Beendigung seines Studiums wurde er als Redakteur der ‹Deutschen Zentralzeitung› in Moskau eingestellt und von dort aus im Jahre 1935 nach Engels kommandiert zur Übernahme der Leitung der wolgadeutschen Zeitung ‹Der Wolgadeutsche›.»
     
    Hier hatte der Autor des Berichts einiges durcheinandergebracht, aber Lorenz hielt sich nicht an Details fest.
     
    «Als Lochthofen sich wiederholt weigerte, vom sowjetischen Nachrichtendienst und von der Kommunistischen Partei gelieferte Falschmeldungen über Deutschland zu veröffentlichen, wurde er 1937 verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis geworfen, wo er über ein Jahr verblieb. Während seiner Verhöre hat er öfters seine Frau in der Nähe schreien hören und ahnte auf diese Weise, daß sie gleichzeitig mit ihm verhaftet worden war. Man wollte ihn zu dem Geständnis zwingen, daß er im Auftrage der deutschen Regierung im Wolgadeutschen Gebiet Zersetzungsarbeit an der bolschewistischen Idee leisten sollte. Um ihn mürbe zu machen, trug ein Gefängniswärter sein sechs Monate altes Kind wiederholt vor seinen Augen im Gefängnis herum. Als das Geständnis ausblieb, verschickten ihn die G.P.U.-Gewaltigen ohne weitere Verurteilung für fünf Jahre nach Workuta, wo er sich heute noch befindet. Im Jahre 1939 lernte er zufällig in diesem Lager den ebenfalls dorthin verschickten damaligen Direktor des Engelsschen Gefängnisses kennen, der ihm erzählte, daß seine Frau ebenfalls verhaftet war und auch verschickt worden sei für acht Jahre. Glücklicherweise sei sein Kind Lotte damals im Gefängnis gestorben.»
     
    Lorenz spürte, wie sein Atem langsamer und langsamer wurde, bis er ganz aussetzte. Von unten baute sich ein lähmender Druck auf, der ihm den Hals abschnürte. Natürlich wusste er, dass seine Tochter nicht mehr lebte. Aber es zu wissen oder es

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