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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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deutlich und hart. Der Brigadier grinste:
    «Was soll ein Russe schon können, was ich nicht kann?»
    «Nun, was ein Russe ist oder nicht, davon verstehst du nichts. Außer dass du und deinesgleichen schon einmal von denen die Hucke voll bekommen habt. Schon vergessen?»
    Das Grinsen gefror.
    «Ich habe dort genauso viele gute Kerle und miese Typen getroffen, wie es sie auch hier gibt. Und was mein Können betrifft, so kannst du beruhigt sein, ich kann einiges mehr als du.»
    Lorenz war schon im Begriff, sich umzudrehen, da hörte er den Brigadier:
    «Und was soll das sein?»
    «Zum Beispiel das.»
    Lorenz war klar, dass es hier nicht um geistreiche Argumente gehen konnte. Flink streckte er dem Mann die Zunge raus, allerdings nicht wie üblich, sondern gedreht, dass sie hochkant zwischen den Zähnen stand.
    «Ich wette, du kannst nicht einmal das.»
    Die anderen feixten und gingen an die Arbeit. Einer versuchte, es nachzumachen – ohne Erfolg. Der Brigadier schnaubte:
    «Genug geschwatzt. Am Ende des Tages wird abgerechnet.»
    Lorenz kehrte zu Karlchen zurück. Nach all den Wochen und Monaten freute er sich, wieder etwas mit seinen Händen zu tun. Als jemand aus der Brigade «Feierabend» rief, hatten sie trotz aller Hindernisse ihre Tagesnorm geschafft. Die Kollegen schauten ungläubig.
    Am dritten Tag war die Vorgabe für die ganze Woche erfüllt, sie hätten noch mehr machen können, wenn ihnen das Material nicht ausgegangen wäre. Karlchen, der ein Übererfüllen der Norm so nicht kannte, weil ihn der Brigadier immer dorthin steckte, wo es nichts zu holen gab, ging beschwingt von einem Kollegen zum anderen, klopfte ihnen auf die Schulter und fragte, ob er vielleicht helfen könne.
    «Ich und Lorenz, äh, ich meine, der Russe und ich, wir haben unser Soll im Kasten, aber bei euch da sieht’s ja nicht gut aus …»
    Routiniert überhörte er den Hinweis, er möge sich sonst wohin scheren und ging zum Nächsten. Lorenz war vom Verlauf der Ereignisse sichtlich amüsiert. Er saß auf dem Werkzeugkasten und machte eine Skizze. Auch wenn ihnen die Arbeit ganz gut von der Hand ging, es blieb eine Viecherei. Das ließ sich ändern: mit Hilfe der riesigen Krane an der Hallendecke, mit denen früher die Flugzeugteile bewegt worden waren und die jetzt vor sich hin rosteten. Man brauchte sie nur anzupassen, dafür musste man das und das und das tun. Er war so vertieft in seine Aufzeichnungen, dass er den Brigadier erst bemerkte, als sein Schatten auf das Papier fiel.
    «Du, hör mal», begann der Mann. Jedes Wort ging ihm schwer über die Lippen. Von dem dümmlich grinsenden Kerl des ersten Tages war nichts übrig. Selbst seine Glatze glänzte nur noch matt.
    «Dass du arbeiten kannst, hab ich verstanden. Und sicher war es nicht gerade freundlich, dir gleich die beschissenste Arbeit zu geben. Aber das mit deinem Tempo, das geht trotzdem nicht.»
    «Bin ich zu langsam?»
    «Nein, das gerade nicht», brummte der Brigadier, «aber du versaust die Normen. In der Brigade sind genug Leute, die schaffen dein Pensum nicht. Und die müssen auch leben. Die haben Kinder und brauchen das Geld. Die Bezahlung ist schlecht genug. Also, schalt einen Gang zurück.»
    Die Situation hatte sich völlig gewandelt, der Herrenmensch war auf sein natürliches Maß geschrumpft. Lorenz nickte.
    «Gut.» Er richtete sich auf, immer noch war er einen Kopf kleiner als der Zwölfender. «Aber nur, wenn du mir hilfst. Ob ich das nun bin oder andere, diese Plackerei muss ein Ende haben.»
    Er drehte sein Papier um.
    «Ich hab da so eine Idee.»
    Schnell machte die Geschichte in der Halle die Runde, aus dem herablassenden «Russe» wurde ein anerkennendes «Lorenzowitsch». Lorenz dachte an die ersten Tage in der Bahnwerkstatt von Workuta. Die Deutschen hatten mit den Russen weit mehr gemeinsam, als sie je zugeben würden.
     
    Derweil stieg in der Parteileitung des Werks die Unruhe. Von dem angekündigten Genossen aus der Sowjetunion fehlte jede Spur. Dessen Ankunft hatte man bereits vor zwei Wochen aus Berlin avisiert. Fritz, der Parteisekretär, den man in den Werkhallen nur «Fritze» nannte, mochte diesen Zustand des Ungewissen nicht. Was beschlossen war, musste umgesetzt werden. Wenn die Genossen aus der Zentrale meinten, dem Mann aus Russland solle in Gotha auf den Zahn gefühlt werden, so war Fritz bereit, sich der Sache mit vollem Einsatz zu widmen. Schnell wurde er sich mit den Berlinern einig, dass die Aufgabe eines Lehrmeisters dafür am

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