Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
Vom Netzwerk:
wir fast beim Thema wären.»
    «Welchem Thema? Wer sind Sie überhaupt? Und was wollen Sie?!» Korenzow erstarrte in Abneigung.
    «Ach ja, ich habe versäumt, mich vorzustellen: Lorenz Lorenzowitsch Lochthofen. Ich bin der technische Direktor im Waggonbau.»
    «Technischer Direktor? Das kann nicht stimmen. Den kenne ich. Der heißt anders und sieht auch anders aus.»
    «Der, den Sie meinen, der ist weg. Nach Berlin. Jetzt bin ich für Sie zuständig, und ich glaube, wir müssen reden. Darf ich?»
    Lorenz zog einen Stuhl heran und winkte den Kellner herbei, der entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten sofort kam. Er konnte sich offensichtlich noch an das Trinkgeld erinnern, als Lorenz mit der Familie im Hotel wohnte.
    «Zweimal das Übliche. Und bringen Sie mir bitte auch einen solchen Teller mit viel Zwiebel. Es duftet wunderbar.» Dann drehte er sich zu dem russischen Einkäufer um.
    «Sie sind also der berühmte Korenzow?»
    «Wieso berühmt?»
    «Soll ich lieber sagen: berüchtigt? Wegen der Schrauben …»
    «… der Schrauben?», wiederholte der Russe. «Welcher Schrauben zum Teufel?!»
    Er hatte genug von diesem lästigen Gast. Gerade wollte er ihn auffordern, ihn in Ruhe zu lassen, da wurde er abgelenkt. Der Kellner setzte mit elegantem Schwung zwei Gläser auf den Tisch. Korenzow musterte sie verwundert. Das war kein Bier. Kein schönes, kühles Pils, das er so liebte. In diesen Gläsern schimmerte Wasser. Schon wollte er fragen, was der Unsinn zu bedeuten hätte, da wehte ein leichter Hauch zu ihm. Das war kein Wasser. Das war Wodka.
    Schnapstrinken aus einem Wasserglas? Das hatte er im «Mohren» noch nicht gesehen. Daheim in Russland, ja. Da trank man Wodka aus allen Gefäßen, die eine Flüssigkeit fassen konnten. An Konservendosen, die nach Fisch rochen, oder leeren Gurkengläsern störte sich keiner. Hauptsache, es mangelte nicht an Alkohol. Gab es wenig davon, so half eine «Wodka-Suppe». In einem tiefen Teller wurde Schwarzbrot zerkrümelt, darüber goss man den Restschnaps. Wer dieses Nationalgericht auslöffelte, konnte sicher sein, dass er besonders schnell ans Ziel kam. Der nächste Tag war schrecklich.
    Korenzow dachte angestrengt nach. Er war kein Freund von Trinkgelagen. Trinken hieß immer Gefahr. Man wurde übermütig, wollte glänzen, schwatzte dummes Zeug. «Meine Zunge ist mein Feind», auch er wusste um diese Weisheit und um ein Dutzend Fälle, wo sich Schwätzer um Kopf und Kragen geredet hatten. Das Auftauchen von Wodka in Wassergläsern konnte nur eines bedeuten: Vorsicht. Der ungebetene Gast konnte kein lupenreiner Deutscher sein. Dazu war sein Verhalten viel zu russisch.
    «Trinken wir auf unsere Bekanntschaft!»
    Lorenz hob sein Glas. Der Einkäufer zögerte, dann griff auch er zu. Sie stießen an und leerten die Gläser in einem Zug.
    «Darf ich?»
    Ohne die Antwort abzuwarten, streckte sich Lorenz über den Tisch und brach zu Korenzows Verwunderung ein Stück von dessen Brotscheibe ab. Er hielt sich das kleine Stück Brot unter die Nase, zog tief Luft in sich hinein und biss ab.
    «Bitte, bitte …», antwortete Korenzow pikiert. «Ich sehe, Sie kennen sich gut aus in russischen Trinksitten. Wo haben Sie das gelernt? Woher können Sie unsere Sprache so gut?»
    Lorenz lächelte. Wodka und Russe, das klappte immer. Er hatte ihn am Haken wie einen prächtigen Lachs, nun musste er ihn vorsichtig, ganz vorsichtig, herüberziehen.
    «Das ist eine lange Geschichte. Ich war auf einer ganz besonderen Universität, hoch oben im Norden.»
    «Ach, ich habe auch in Leningrad studiert. So ein Zufall!»
    «Nein, Leningrad war es nicht.»
    Er schaute Korenzow an, der hatte die Andeutung nicht verstanden. Der Russe schmierte das durchgedrehte Fleisch auf die Brotscheibe und biss herzhaft zu. Etwas Eigelb tropfte auf die Tischdecke. Ärgerlich kratzte er den Klecks mit dem Messer weg. Aus dem Tropfen, kaum sichtbar, wurde ein langer gelber Wisch.
    «Aber wissen Sie, ich kenne nicht nur die Sprache und die Bräuche der Russen …», setzte Lorenz das Gespräch fort, um sogleich mitten im Satz innezuhalten und dem Kellner wortlos ein Zeichen zu geben. Der nickte und brachte, ebenfalls stumm, zwei weitere Gläser. Und ehe der verblüffte Korenzow etwas sagen konnte, hielt Lorenz abermals sein Glas hoch und prostete ihm zu.
    «… sondern ich weiß auch, wie bei Ihnen gearbeitet wird!»
    Ärgerlich musste Korenzow zur Kenntnis nehmen, dass der Mann die neuerliche Portion Wodka ohne jegliche Regung

Weitere Kostenlose Bücher