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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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in sich versenkte. Nur das Glas schlug beim Absetzen etwas hart auf, die anderen Gäste schauten herüber. Der Kellner brachte Lorenz gerade rechtzeitig seine Portion, so dass er diesmal von seinem eigenen Brot ein Stück abbrechen konnte.
    «Und glauben Sie mir, Iwan Iwanowitsch, es gibt zwischen Brest und Wladiwostok keinen Betrieb, der eine solche Qualität liefert wie wir. Die Schrauben stehen also nicht plan? Sie wissen doch, dass man sich bei Ihren Straßenbahnen daheim nicht einmal die Mühe macht, die Schrauben überhaupt hineinzudrehen. Sie werden mit dem Hammer hineingedroschen und fertig. Dass die Leisten in ein paar Wochen ab sind, wen interessiert das schon. Also, Genosse Generalabnehmer, was sollen die Mätzchen?»
    Die undiplomatische, klar gestellte Frage erwischte Korenzow kalt. Mit so viel Dreistigkeit gegenüber einem sowjetischen Partner hatte er nicht gerechnet. Wie kam dieser Mensch dazu, ihn einfach bei Vor- und Vaternamen zu nennen, als verbände sie eine lange Freundschaft? Dazu noch dieser Ton. Und dann die Ausdrucksweise, «Mätzchen». Das konnte er sich nicht bieten lassen. Nicht von einem Deutschen. Schließlich hatten die den Krieg verloren. Schließlich standen russische Soldaten auf deutschem Boden und nicht umgekehrt. Er war dabei, eine Grobheit zu knurren, zog es aber dann doch vor, in der Deckung zu bleiben. Weiß der Teufel, was das für ein Kerl war. Ohne Grund würde niemand so anmaßend auftreten. Da musste sich einer sehr sicher sein. Korenzow entschied sich für «energisch», aber in der Wortwahl «beherrscht»:
    «Ich habe getan, wie sagt man in Deutschland so treffend, was meine Pflicht ist. Schließlich zahlen wir viel Geld für Ihre Bahnen.»
    «Nun, über die Preise könnten wir auch reden, andere zahlen deutlich besser!», unterbrach ihn Lorenz unwirsch. «Leider haben wir beide keinen Einfluss darauf. Wenn es jedoch um die Qualität der Arbeit geht, dann bin ich dafür zuständig. Und da würde ich bitten, dass diese Nörgelei aus nichtigem Anlass aufhört. Ich sage es gleich offen und klar: Ich bin entschlossen, notfalls auch meine Freunde in Moskau einzuschalten. Wer braucht solchen Ärger? Ich nicht. Und Sie auch nicht. Der ‹Mohr› wäre bestimmt traurig, wenn er Sie nicht wiedersehen würde. Der Tatar auch. Neider, die gerne Ihre Aufgabe übernehmen, gibt es gewiss viele. Das wissen Sie doch besser als ich, Iwan Iwanowitsch!»
    Er prostete dem Russen mit dem dritte Glas Wodka zu, das der Kellner inzwischen ungefragt serviert hatte:
    «Sie kennen sicher den alten Trinkspruch aus dem Kaukasus vom Esel, der sein wollte wie ein Löwe? Nein? Na, dann will ich Ihnen die Geschichte erzählen: Ein Esel hatte eines Tages den Spott satt, mit dem ihn die anderen Tiere den lieben langen Tag bedachten. Dumm und faul sei er, störrisch obendrein. Wartet, ihr Kanaillen, dachte der Esel und beschloss, ein Löwe zu werden. Bei einem Trödler beschaffte er sich ein Raubtierfell, streifte es über Kopf und Rücken und stolzierte markerschütternd brüllend umher. In der Tat, aus der Ferne sah er zum Fürchten aus, die Tiere waren überzeugt, das muss ein echter Löwe sein. Sie hatten große Angst. Eine Kuhherde nahm Reißaus, die Hühner legten keine Eier, selbst die Schweine wagten nicht mehr, sich in der Pfütze zu suhlen. Doch dann kam Wind auf. Plötzlich ein richtiges Unwetter. Eine Böe schnappte das Fell und flog mit ihm davon. Jetzt sahen alle, der furchterregende Löwe war gar kein Raubtier, sondern nur der alte, allen gut bekannte Esel. Auf die Erleichterung folgte der Zorn. Auf den Zorn die Tat. Gemeinsam vertrimmten sie den Hochstapler.
    Also, Genosse Korenzow, lass uns die Gläser darauf erheben, dass wir keine Angst vor großen Tieren haben. Vor echten nicht und erst recht nicht vor falschen. Trinken wir darauf, dass all die Esel um uns herum Sie und mich nicht täuschen können!»
    Das Glas in der Hand, überlegte der Russe, was die Geschichte mit dem Esel bedeuten sollte. Vielleicht hatte ihn der Deutsche ja schon wieder vorgeführt. Doch der kippte selenruhig, ohne den leisesten Hauch von Spott, den Schnaps hinunter. Korenzow blieb nichts weiter übrig, als ihm zu folgen. Mit dieser dritten Staffel zeigte der Alkohol seine Wirkung. Der Einkäufer lief rot an, während seine Nase ins Violette wechselte. Er prustete, konnte den Wodka nicht in einem Zug trinken, musste absetzen und wusste sogleich, dass er dem Druck des neuen «Technischen», der so anders auftrat

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