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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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diesem Korenzow trinken.»
    «Wieso, ist er inzwischen wieder nüchtern?»
    «Es scheint so. Zumindest stänkert er schon wieder.»
    «Gefallen ihm die Schrauben nicht mehr?»
    «Nein, die Schraubenschlitze sind jetzt in Ordnung. Nun will er die Bergtauglichkeit der Bahnen testen.»
    «Testen? Wozu das? Die sind getestet. Werden es jeden Tag. Unter realen Bedingungen. Der Anstieg hier am Nelkenberg ist der beste Test. Und überhaupt: Eine Straßenbahn ist keine Bergziege!»
    «Das reicht ihm nicht. Er möchte, dass auf dem Werkgelände eine steile Rampe gebaut wird.»
    «Ist der verrückt? Weder in Leningrad noch im Donbass haben sie Berge, auch Simferopol liegt in der Steppe. Dem Kerl ist es wohl wieder langweilig. Wo ist er? Immer noch im ‹Mohren›?»
    «Soviel ich weiß, bringen sie ihn gerade mit dem Auto zum Zug nach Berlin. In zwei Monaten ist er wieder da, dann möchte er die Wagen klettern sehen.»
    Lorenz stürmte aus dem Zimmer, wenige Minuten später hörte man ihn in der Parteileitung energisch auf Fritz einreden:
    «Das können wir uns nicht bieten lassen! Das nicht!»
    «Wer hat dich so in Fahrt gebracht?»
    «Iwanowitsch! Diese Export-Import-Pfeife aus Moskau!»
    «Leise, bitte, leise, Lorenz. Es wäre nicht gut, wenn jemand hört, wie du über den sowjetischen Genossen sprichst.»
    «Ha, Genosse? Was ist an dem von einem Genossen? Sitzt hier, frisst sich durch und stört bei der Arbeit! Hast du schon von seiner neusten Gemeinheit gehört?»
    «Ja, habe ich.»
    «Das bedeutet für uns erheblichen Mehraufwand, den wir nicht bezahlt kriegen!»
    «Das ist ärgerlich, aber wir werden einen solchen Kunden nicht verprellen können.»
    «Ja, was glaubst du, wer dieser Korenzow eigentlich ist? Meint, er hält den lieben Herrgott bei den Eiern, dass er sich hier so aufspielen kann?»
    Fritz zuckte. Obwohl er schon von Amts wegen kein gottesfürchtiger Mann sein konnte, bat er Lorenz, sich doch bitte etwas zu beruhigen. Die drastischen Bilder der russischen Metaphorik erschreckten ihn immer noch.
    «Ich verstehe dich, aber wenn der Towarisch es so will, dann werden wir ihm die Rampe bauen müssen. Das ist noch immer billiger, als die Straßenbahnen auf dem Hof stehenzulassen.»
    «Merkst du denn nicht, dass der uns nur schikaniert, um sich daheim als unabkömmlich aufzuspielen?»
    «Was schlägst du vor? Dein letzter Einsatz war gut, aber es hat ja leider nicht lange vorgehalten. Willst du ihn totsaufen?»
    «Nein, der kann ja nicht mal richtig trinken. Ich habe eine bessere Idee: Einer von uns fährt zu den Russen, dort hin, wo unsere Straßenbahnen laufen. Vorbei an allen Ein- und Verkäufern muss man mit den Leuten sprechen, du wirst sehen, die sind des Lobes voll. Denn das Einzige, was bei denen im Depot funktioniert, sind mit Sicherheit unserer Bahnen. Es wäre ein Wunder, wenn die keine Hymnen auf ihre proletarischen Brüder in Gotha anstimmten. Haben wir das schriftlich, dann kann uns ein Korenzow mal …»
    Fritz überlegte. Er hatte sich an die unkonventionellen Lösungen seines «roten Bruders», wie sie sich in einem Anflug von Indianer- und Revolutionsromantik nannten, gewöhnt, aber so mir nichts, dir nichts in die Sowjetunion zu fahren, das klang abenteuerlich. Wenn etwas schiefging, dann wäre mit Sicherheit nicht nur der «Technische», sondern vor allem er, der Parteisekretär, dran. Die langen Predigten in der Kreisleitung, wie er nur so etwas zulassen konnte, klangen ihm schon in den Ohren. Andererseits war dieser Korenzow die Krätze, und wer konnte sagen, was da noch alles auf sie zukommen würde, wenn man dem nicht endlich das Maul stopfte.
    «Eine gute Idee. Und wenn einer fährt, dann du. Du kennst dich als Einziger dort aus.»
    Für einen Moment herrschte Schweigen. Mit so einer Wendung des Gesprächs hatte Lorenz nicht gerechnet. Wollte er das? Wollte er wirklich in den Zug Berlin – Moskau steigen? Genau in jenen Zug, der ihn nach vielen Jahren, als er es fast schon nicht mehr glauben konnte, endlich hierhergebracht hatte. Die seidene Luft der Krim, ein Gläschen Rotwein mit dem alten Pawel Alexandrowitsch, mit den beiden Jungs durch die Weinfelder zum Meer laufen, das alles konnte er sich gut vorstellen. Irgendwann. Aber jetzt? Hals über Kopf eine Dienstreise antreten, von der man nicht einmal sagen konnte, wohin sie führte? Erst recht nicht, wer ihn dort erwartete. Dass die sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen ließen, um wieder ihre Macht zu demonstrieren, das konnte

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