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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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als all die übrigen Deutschen, nicht gewachsen war. Die meisten von ihnen hatten schon die Hosen voll, wenn der sowjetische Genosse nur die Augenbrauen hob. Der nicht.
    Dabei waren die Rollen klar verteilt. Korenzow wusste um den politischen Mehrwert der Lieferungen in das «Land Lenins». Folgerichtig betrachtete er seinen Aufenthalt in Gotha als eine Art Ausflug eines altrussischen Gutsinspektors zu den Leibeigenen aufs Land. Ein Grund, ein paar Bahnen stehenzulassen, fand sich immer. Das hatte für ihn einen doppelten Effekt: Im Werk wurde er gefürchtet, daheim in Moskau waren sie froh, einen so tüchtigen Mann entsandt zu haben. Und wenn einige der dringend erwarteten Bahnen erst Monate später eintrafen, in der Zentrale kümmerte es niemanden. Für Moskau reichte es, in der Provinz konnten sie warten.
    Derweil genoss Korenzow im Hotel «Zum Mohren» ein schönes Leben. Er hatte sich im größten Zimmer mit extra dickem Federbett einquartiert. Wie er diese deutschen Federbetten, ihre wonnigliche Schwere liebte. Er aß und trank auf Kosten seiner Gastgeber, um dann nach Wochen, beladen mit Geschenken für Frau und Kinder und – was noch wichtiger war – für die Vorgesetzten, seine Rückreise nach Moskau anzutreten. Das Mitgebrachte für die Chefs musste besonders sorgfältig ausgesucht sein. Wer hier zu kleinlich vorging, riskierte alles. Er wusste, worauf es ankam. Mit einem Pralinenkasten oder einer Flasche Wein ließ sich wenig ausrichten. Denn sein Chef musste seinerseits nach oben abgeben. Und der Chef vom Chef lieferte noch weiter nach oben ab. Und da war es schon nicht mehr weit bis zum Minister. Von dem wusste Korenzow lediglich eines: Er nahm nur Bares. Ein Mitbringsel für das «Kontor», wie die Kollegen ihre Im- und Exporteinrichtung nannten, sah dann so aus: ein paar Schühchen für die Gattin des Abteilungsleiters, sie hatte Größe 41. Ihre Maße kannte er besser als die seiner Frau, einschließlich Körbchengröße. Ihr Gatte, sein Chef, war mit einer Flasche Korn zufrieden. Nach weiter oben gingen zwei weitere Flaschen, eine Stange «Pall Mall» und hundert Ost-Mark in kleinen Scheinen. Gab es im «Kontor» Gerüchte, dass die Zahl der Mitarbeiter gekürzt werden sollte, legte Korenzow noch zwei Krawatten dazu, die er vor der Heimreise in einem Berliner Kaufhaus zu erwerben pflegte. So hoffte er, die Kaderentscheidung möge zu seinen Gunsten ausfallen. Bisher hatten sie ihn nicht enttäuscht.
    Nun das!
    Dieser neue «Technische» verdarb ihm die Laune. Unruhe kam auf, die selbst der Wodka nicht eindämmen konnte. Was ist, wenn der «von ganz oben» den Auftrag hatte, ihm , Korenzow, auf die Finger zu schauen? Was ist, wenn die Genossen in Moskau davon Wind bekamen, dass er hier im «Mohren» nicht nur ein schönes Bett, sondern, passend dazu, auch ein schönes Fräulein hatte? Nun, schön, ja, vielleicht auf den zweiten Blick, und frisch wie der junge Morgen war es auch nicht mehr, aber immerhin, sie hatten ihre Freude. Nicht zu oft, dafür aber regelmäßig. Er lieferte russisches Konfekt und Sekt. Was war, wenn sie diesen sonderbaren Menschen geschickt hatten, um ihm seinen schönen Posten zu verderben? Das Beherrschen der russischen Sprache, die Trinkfestigkeit, das anmaßende Auftreten, das konnte kein Zufall sein. Ein Inspektor, möglicherweise sogar vom KGB? Dieser Gedanke ließ Korenzow blass werden. Sollte er seinen Führungsoffizier fragen? Lieber nicht. Die Herrschaften reagierten auf Fragen allergisch. Es galt, vorsichtig zu sein. Sehr vorsichtig. Korenzow griff den Ton seines neuen Bekannten auf:
    «So, so, die Schrauben haben es Ihnen angetan. Nun, ich glaube, da lässt sich etwas machen. Sie müssen nur fest angezogen sein. Und, na ja, ein paar Schrauben können doch der deutsch-sowjetischen Freundschaft nichts anhaben. Oder?»
    «Wunderbar! Dann sind wir uns einig! Sie können sicher sein, Iwan Iwanowitsch, an unseren Schrauben kann man einen Panzer abschleppen. Also abgemacht! Die Bahnen werden geliefert, wie sie sind. Wenn das kein Grund ist – auf Ihre Gesundheit!»
    «Na sdorowje», brabbelte Korenzow. Er wusste genau, wie er sich morgen fühlen würde. Wie gerne hätte er Bier in seinem Glas …
     
    Der nächste Tag kam, anstandslos gingen die längst überfälligen Straßenbahnen auf Reisen. Vier Wochen hörte Lorenz nichts von dem Mann aus Moskau. Dann stand der Assistent mit traurigem Gesicht wieder vor seinem Schreibtisch:
    «Ich glaube, Sie müssen aufs Neue mit

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