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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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oder wo immer sich Männer zum Durak-Spiel zusammenfanden. Und offenbar hatten die beiden auch keine Angst, dass man sie erwischen könnte. Selbstverständlich war das Kartenspielen im Gefängnis streng verboten.
    Einer der Sträflinge lief nervös, einer unsichtbaren Linie folgend, durch den Raum. Zwölf Schritte vor, zwölf Schritte zurück. Plötzlich blieb er am Tisch stehen, schaute Lorenz eine Weile beim Schmieren der fünften oder sechsten Brotscheibe zu, wartete ab, bis er erneut die Butter mit dem Löffel aus dem Glas gefischt hatte, und fragte übertrieben freundlich:
    «Na, schmeckt’s?»
    Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die so etwas wie ein Lächeln darstellen sollte.
    «Iss nur, iss … .», murmelte er. «Wer weiß schon, was es da oben gibt?»
    Er blickte demonstrativ zur Decke.
    Mit vollem Mund hörte Lorenz auf zu kauen. Es waren weniger die Worte, die ihn innehalten ließen, vielmehr der Unterton. Er hatte es doch gewusst, hier konnte etwas nicht stimmen. Fragend schaute er den schmächtigen Mann an, der seiner Aussprache nach ein Tatare sein musste, er wagte nicht, den Bissen hinunterzuschlucken.
    Der Mann bückte sich zu Lorenz und fuhr deutlich leiser, fast verschwörerisch, fort:
    «Wofür hat man dir die ‹Schlöpka› gegeben?»
    Das Wort traf Lorenz wie ein elektrischer Schlag. Er sprang auf. «Schlöpka», eine Klatsche, das war unter Ganoven das gebräuchliche Wort für Erschießen. Wer eine Schlöpka bekam, der war zum Tode verurteilt.
    «Was faselst du da von ‹Schlöpka›», fuhr er den Neugierigen an. «Ich bin bisher zu gar nichts verurteilt. Meine Untersuchung läuft noch. Überhaupt, ich bin unschuldig, alles wird sich aufklären …»
    Der Wortwechsel zog die Aufmerksamkeit der anderen auf sich. Die Kartenspieler unterbrachen ihr Spiel. Ein apathisch auf der Pritsche liegender Gefangener richtete sich auf und blickte ärgerlich zum Tisch. Ein anderer erhob sich gleichfalls und musterte Lorenz interessiert von oben bis unten.
    «Ist der so dumm, oder tut er nur so?», mischte er sich in das Gespräch. Aus seiner Stimme klang ein hohes Maß an Gereiztheit. «Pass auf, Freundchen, wir alle, die wir in dieser Zelle sitzen, sind zum Tode verurteilt. Das ist die Todeszelle. Eine andere haben die hier nicht.»
    Er wartete die Wirkung seiner Worte ab und fügte dann hinzu:
    «Irrtum ausgeschlossen.»
    Lorenz blickte entsetzt von einem Gesicht zum anderen. Was war das für ein Spiel, das hier gespielt wurde?
    «Ja, Irrtum ausgeschlossen!»
    Der das sagte, trug ein schwarzes am Stehkragen mit weißen Knöpfen besetztes Russenhemd, dazu eine dunkle Reithose, die in gutgearbeiteten Stiefeln steckte. Er strahlte den Schick eines mittleren Parteifunktionärs aus. Die Stiefel hatte er für seinen nachmittäglichen Schlaf nicht ausgezogen. Angst, dass hier jemand etwas stehlen könnte, schien keiner zu haben. Nicht nur das Brot und die Butter lagen offen auf dem Tisch; die Insassen hatten auch ihre Habseligkeiten entweder auf einem Hocker oder am Fußende der Pritsche verstaut.
    «Nein, nein, das alles kann nur eine Verwechslung sein», beharrte Lorenz.
    «Unschuldig sind wir hier alle», fuhr der Mann fort. «Oder sagen wir besser, fast.» Ein bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht. «Der da drüben auf dem Bett, der gerade noch schlief und uns jetzt so interessiert zuhört, hat eine Bank leergeräumt. Viel war nicht drin. Aber für ihn und seine Freunde hätte es gereicht. Anstatt nun das schöne Geld in einer anderen Kasse zu deponieren und darauf zu warten, dass Gras über die Sache wächst, haben sie mörderisch einen draufgemacht. Ist doch klar, dass so etwas auffällt. Er war so besoffen, dass er erst im Knast wieder zu sich kam. Nur einer seiner Kumpane konnte noch geradeaus gucken und wollte abhauen. Den haben sie gleich abgeknallt. Auf der Flucht, du weißt schon.»
    Der Erzähler machte eine lange Pause, um die Wirkung seiner Worte zu genießen. Die anderen kannten die Geschichte offensichtlich schon in allen Einzelheiten und taten eher gelangweilt.
    «Den zweiten Kumpel von ihm haben sie gestern aus der Zelle geholt.» Mit einer flüchtigen Bewegung zeigte er auf die Pritsche, die jetzt Lorenz gehörte. «Nun wartet er als Letzter, wann er an der Reihe ist. Heute? Morgen? Oder erst in einer Woche? Niemand kann sagen, wann diese Hundesöhne einen holen. Es soll schon Leute gegeben haben, die vier oder fünf Wochen hier saßen. Die begannen tatsächlich daran zu

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