Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
sicheren Seite. Es musste ja noch ein paar Anständige geben.
Und doch hatte er die Verhältnisse falsch eingeschätzt. Anstand war nicht gefragt. Schon lange nicht mehr. Die schützende Hand aus Moskau erstreckte sich nur auf Kolja, den feinen Kerl … Nicht auf ihn.
«Wir hatten schon Monate vorher ein hübsches Papierchen für Sie, Lorenz Lorenzowitsch, vorbereitet. Wachsam sein ist ja nur der eine Teil unserer Arbeit. Der andere heißt sammeln, sammeln, sammeln. Wir sammeln alles. Was der Nachbar sagt, was die Kinder in der Schule plaudern und was die verlassene Ehefrau zu erzählen hat. Wissen Sie, ich bin Spezialist für abgelegte Ehefrauen. Sobald ich mitkriegte, da hat sich einer eine Neue angeschafft, nichts wie hin zur Alten. Ein paar warme Worte des Mitgefühls, und schon heult sie los, ganz gerührt, dass es auch noch anständige Männer gibt.» Hofer schnaubte. «Da geht die Arbeit wie von selbst. Sie glauben nicht, Lorenz Lorenzowitsch, was die Kerle ihren Frauen so alles erzählen, Sachen, die Weiber wirklich nichts angehen. Aber nein, sie quatschen. Und dann wähnt sich der betrügerische Gatte noch sicher und geborgen in den Armen der neuen Manjuschka oder Daschenka, dabei haben wir ihn längst am Bein …»
Der volle Bauch und vor allem der Wodka versetzten Hofer in ausgelassene Stimmung. Berauscht von den eigenen Worten, schlug er Lorenz kumpelhaft auf die Schulter.
«Nun ja, Lorenz Lorenzowitsch, in Ihrem Fall war es natürlich nicht die Frau, und wegen dem Kolja konnten wir Sie ja nicht direkt rannehmen. Ein gewisser Rotärmel war behilflich, hat beim Verhör geplaudert. Viel war mit dem nicht los. Der unterschrieb alles. Wenn nötig, auch ein leeres Blatt Papier. Dem brauchte man nur ein Stichwort zu geben, schon sprudelte er, lieferte alles, vor allem Namen. Wie ein Telefonbuch. Namen, Namen …»
Hofer zog die Kartoffeln näher zu sich heran.
«Ihrer war auch dabei. Sie seien ein Spion, der sich öfter mit anderen Agenten treffen würde. Wo und wann, konnte er nicht sagen. Worum es bei den Treffen ginge, auch nicht. Aber dazu gab es ja uns. Wir brauchten nur den Namen. Am Geständnis sollte es nicht liegen. Wie Sie wissen, Geständnisse sind unsere Spezialität. Dass ausgerechnet Sie stur blieben, konnte keiner ahnen. Aber genutzt hatte es ja auch nichts.»
«Diese Hundesöhne, job twoju …»
Kajetan fluchte, spuckte voller Widerwillen in die Ecke, stand auf und kramte aus einem Spind eine Flasche hervor. Als sie die Gläser erneut gefüllt hatten, warnte Lorenz den Untersuchungsführer wieder, vorsichtig mit dem Essen zu sein. Doch der winkte ab. Er tunkte ein Stück Brot in das Öl.
«Ob ich die alle noch zusammenbringe, die Sie belastet haben, weiß ich nicht, ich glaube, ein gewisser Kreuzberg war auch an Ihrem Fall beteiligt. Hat aber nicht viel gesagt. Nur dass Sie, Lorenz Lorenzowitsch, nie in der KPD waren.»
«Das weiß ich auch. Aber deswegen wird man ja selbst in diesem Land nicht verhaftet. Hoffe ich.»
«Das stimmt schon, aber Kreuzberg meinte, Sie hätten alle in dem Glauben gelassen, dass Sie in der Partei seien. Das ist etwas anderes.»
«Unsinn. Gab es noch mehr von solchen Zeugen?»
Hofer angelte mit einer schnellen Bewegung den letzten Hering aus dem Topf und ließ ihn schnell in seinen Mund rutschen. Kajetan schaute missbilligend zu Lorenz. Seinem Gesicht sah man an, dass er dem Treiben des verfressenen Gastes mit großer Lust ein Ende bereitet hätte. Die Faust spannte sich schon. Aber Lorenz hielt ihn am Ärmel.
«War noch jemand an der Sache beteiligt?»
Hofer genoss die Umkehr der Verhältnisse. Er bestimmte jetzt den Verlauf der Begegnung. Mit offener Neugier schaute er sich im Lagerraum um. Überall standen Säcke, Fässer mit Fisch …
Plötzlich machte es in dem Gang zwischen den Säcken klick, man hörte ein lautes Piepsen. Kajetan sprang sofort auf, verschwand in der Dunkelheit. Einen Augenblick später kam er triumphierend aus dem Labyrinth hervor, eine monströse Falle in der Hand. Die Konstruktion hatte ihm Lorenz gebaut, die Vorlage ein Seifensieder aus Prag geliefert, der sich vom Beruf her mit Ratten bestens auskannte. Gerade hatte die Falle ihre Praxistauglichkeit gezeigt. Kajetan lief zur Tür und schleuderte das zappelnde Tier zu den Hunden.
«Ich glaube, du musst mir noch ein paar von den Dingern machen. Sonst werde ich der Biester nicht Herr.»
«Schon gut, Kajetan, machen wir. Aber lass den Mann erst sein Werk vollenden. Nun,
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