Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
auf, und aus der Dunkelheit antwortete eine kratzige Stimme mit einem Schwall derber Flüche. Kajetan, riesig, bärtig und wild, machte nicht den Eindruck, als verstünde er Spaß. Grimmig schaute er Hofer an, der direkt vor ihm stand. Sollte diese lächerliche Figur es gewagt haben, derart unverschämt an seine Tür zu schlagen? Es genügte ja schon ein Schubs, und das ängstliche Seelchen würde von ganz allein den schwächlichen Körper verlassen.
Dann erkannte er hinter dem Etappnik Lorenz, und Kajetans Gesicht hellte sich auf.
«Hab ich mir’s fast gedacht. So frech kannst nur du an meine Tür trommeln. Rein mit dir. Was, der auch noch? Na, wenn du meinst. Aber dem noch etwas abzugeben, scheint mir ziemlich zwecklos.»
«Mach dir keine Sorgen, Kajetan. Der muss uns nicht den ganzen Abend auf die Nerven gehen. Übrigens, er heißt Hofer und ist mein Untersuchungsführer.»
Kajetan ließ trotz seiner eher mäßigen Kenntnisse der russischen Sprache einen lupenreinen Mutterfluch hören. Dann verschwand er im Dunkel der Hütte und kam mit einer langstieligen Axt zurück.
«Wollen wir ihn gleich hier umlegen, was meinst du?»
Lorenz drückte das Werkzeug zur Seite.
«Dafür haben wir noch genug Zeit. Erst will ich von ihm einiges wissen …»
«Was soll diese Ratte schon erzählen? Der lügt doch, wenn er nur das Maul aufmacht. Wie alle diese Verbrecher. Wenn du es nicht tust, lass es mich machen.»
Drohend hob er die Axt.
«Mann, Lorenz, das ist einer von denen, die deine Tochter auf dem Gewissen haben. Und jetzt ist der in deiner Hand, und du zögerst noch? Hat nicht jeder von uns hier oben tausendmal geschworen, wenn er je einen von denen in die Finger bekommt, ihm den Hals umzudrehen … War er’s allein?»
«Nein, sicher nicht. Es gab auch andere. Noch schlimmere. Aber er hatte seinen guten Anteil daran, und nun will ich wissen, wie es dazu gekommen ist.»
Er schob seinen Begleiter am Hausherrn vorbei und setzte ihn an den Tisch. Auf dem stand ein in Lappen verpackter Topf. Die Pellkartoffeln in seinem Inneren verströmten einen Duft, wie ihn sich Hofer nicht lieblicher vorstellen konnte. Für ihn war der alte Streit hinter Gittern, was für einen Mann das Wichtigste sei – Freiheit, Frauen oder Fressen – längst entschieden. Einmal richtig satt essen, das war’s. Alles andere verblasste dagegen.
Lorenz fing seinen gierigen Blick auf.
«Kajetan, sei so freundlich, bring noch eine Schüssel, auch ein Glas. Wir sind hier ja unter Menschen und nicht im NKWD-Keller.»
«Für meinen Geschmack, Lorenz, bist du viel zu romantisch. Was hat es denn für einen Sinn, so einen noch zu füttern? Wenn du ihn nicht kaltmachst, dann tut es ein anderer.»
Dennoch ging er zum Regal, wo die Blechnäpfe standen.
Hofer war es egal, worauf die Kartoffeln landeten. Hauptsache, er konnte so viele wie möglich in sich hineinstopfen. Er wartete keine Sekunde ab, wartete nicht, dass sich die ersten abkühlten, sondern schlang sie hinunter, verbrannte sich den Schlund und schien es nicht zu spüren. Hauptsache fressen. Fressen. Er blickte Lorenz fragend an, dann goss er sich aus der fettglänzenden Ölflasche, die auf dem Tisch stand, einen großen Schwapp in seine Schüssel und wälzte die heißen Kartoffeln darin, ehe er sie mit beiden Händen in den Mund steckte.
«Langsam, Hofer», versuchte ihn Lorenz in seinem Heißhunger zu bremsen. «Das ist gefährlich. Dein Magen ist das schwere Essen nicht mehr gewöhnt. Lass das Öl.»
Doch Hofer hörte nicht. Gerade noch dem sicheren Tod entronnen, sollte er freiwillig von diesem Festessen ablassen? Niemals. Was er kriegen konnte, musste rein. Er unterbrach das Kauen nur für den einen Augenblick, als Lorenz drei Gläser mit «sto Gramm» füllte und auf das unverhoffte Wiedersehen anstieß. Hastig stürzte er den Wodka runter. Verschluckte sich, fing fürchterlich zu husten an, fasste sich nach mehreren schweren Schlägen Kajetans auf den Rücken wieder und begann von neuem, Kartoffeln in sich hineinzustopfen.
Dann nickte Lorenz, und Kajetan legte seine große Pranke auf den Topf. Doch mit einer flinken Bewegung gelang es Hofer, noch zwei Kartoffeln an den gespreizten Fingern des Riesen vorbei herauszufischen.
«Pass auf, Hofer, du bekommst noch etwas mit auf den Weg in die Baracke, wenn du mir antwortest.»
Hofer hielt einen Moment inne, hörte sogar mit dem Kauen auf. Man sah ein leises Aufflackern in seinen Augen. Er dachte nach. Der Satz enthielt für ihn
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