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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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es. Und vom Wohlwollen Kruglows hing es ab, wie schnell die Sache repariert würde.
    «Bei uns, unter den Kesseln. Da ist zwischen den Fundamenten ein Hohlraum. Man kann nicht stehen, aber liegen. Es ist kein gemütlicher Platz, doch die Wochra wird sich dort nicht hintrauen. Und wenn, dann geben wir heißen Dampf rein. Ist wie in der Banja. Doch über einer Schüssel mit kaltem Wasser kann man es aushalten.»
    Lorenz schaute unentschlossen. Kruglow nickte.
    «Na dann los. Nehmt eine Lore. Den Mechaniker rein. Deckt ihn mit einer Plane zu. Tragt ihn am besten auch eingepackt ins Kesselhaus. Irgendein Klopfer sieht immer was. Du, Sascha, sorgst für Proviant.»
    Angeschoben von vier Kerlen, die von Sascha Bauer dirigiert wurden, schepperte die Lore Richtung Kesselhaus. Lorenz hockte regungslos unter der Plane. Er hatte Angst. Nicht einmal hier im Lager ließen sie ihn in Ruhe. Dass Hitler und Stalin einen Pakt geschlossen hatten, wusste man in Workuta, bei den Politischen sorgte es für Verwirrung. Wobei die meisten das Gerücht, dass alle Deutschen, einschließlich der Emigranten, abgeschoben würden, für abwegig hielten. Auf so einen Irrsinn konnten sich die sowjetischen Genossen unmöglich einlassen.
    Doch, sie konnten.
    Und die Vermittlung aus Workuta nach Buchenwald, von der Kolyma nach Dachau, klappte hervorragend. Die Gestapo konnte einen nach dem anderen von der Liste der Meistgesuchten streichen. Nur wenige überlebten den im Kreml organisierten Verrat. Und die KPD-Spitze im «Lux» in Moskau schwieg. Schwieg und zitterte vor ihren Gastgebern.
    Unbemerkt kam Lorenz in seinem Versteck an. Während draußen der Frost knirschte, herrschte unter den Kesseln eine Affenhitze. Die ließ sich gerade noch ertragen, wenn die flache Schiebetür offen stand. Da konnte man sogar im Zwielicht lesen. Lorenz bat Sascha, aus seinem Spind in der Werkstatt das einzige Buch in deutscher Sprache zu holen, das er besaß. Es war eine Ausgabe der Deutschen Verlags-Anstalt von Shakespeares Dramen in der Übersetzung August Wilhelm Schlegels und Ludwig Tiecks. Ein 1000-Seiten-Wälzer, in Leder gebunden und von einem Barbaren brutal mit Isolierband geflickt. «Hamlet», «König Lear» und «Macbeth», Lorenz malte sich aus, welch Stoff der Meister aus Stratford hier in Workuta gefunden hätte. Verrat, Gier, Intrigen – das Leben im Lager lieferte täglich die dramatischen Geschichten nebenbei. Eine bessere Lektüre für die Tage der Ungewissheit konnte er sich kaum vorstellen. Denn ob es ihm wirklich gelingen sollte, dem Zugriff zu entgehen, das wusste keiner. Seine Chancen standen schlecht. Er kannte das schon. Wie in einem ordentlichen Drama, dachte er bitter und fragte sich, welche Rolle ihm zugedacht sei.
    Der Rest des Tages verlief ruhig. Spätabends schaute Sascha noch mal nach ihm. Von Kajetan brachte er Brot und Zucker. Außer der Verpflegung gab es Nachrichten. Und die waren schlecht. Eine halbe Stunde nachdem Lorenz aus der Werkstatt verschwunden war, kam die Wochra. Alle wurden verhört. Ohne Ergebnis. Die Durchsuchung der Schuppen und insbesondere der schadhaften Waggons ergab auch nichts. Überall wurde die Order verbreitet, jeder muss sofort melden, wenn ihm Lorenz begegnete. Wer das nicht tat, dem drohten sie an, die Haftzeit zu verdoppeln. Gleiches galt für jeden, der ihm bei der Flucht half.
    Lorenz schaute Sascha an:
    «Und, wie ist die Stimmung?»
    «Es wissen nur wenige, wo du bist. Die sind zuverlässig.»
    Am nächsten Morgen war es so weit. Der Chef des Kesselhauses schrie: «Wir bekommen Besuch!» Lorenz in seinem Loch wusste, was gemeint war.
    «Sie kommen. Los, ab in den äußersten Winkel und halte das Gesicht über die Schüssel. Es wird jetzt richtig heiß.»
    Dann schob einer der Leute mit dem Fuß das Türchen zu und stieg hastig die Eisentreppe hinauf, wo zwischen den Kesseln eine Batterie Monometer glänzte. Schon hörte Lorenz das Scharren der Stiefel, das Absetzen der Gewehrkolben auf dem Ziegelboden. Ein Wochra-Offizier gab die Kommandos:
    «Matwej, steig auf die Kessel und schau nach, ob da was ist.»
    «Aber Genosse Leutnant, da ist gar nichts, da oben ist es höchstens kochend heiß. Da hält es kein Mensch aus», hörte Lorenz die Stimme des Kesselhauschefs.
    «Der muss hier irgendwo sein. Alles andere haben wir abgesucht. Und in die vereiste Tundra wird er ja nicht geflohen sein. So verrückt ist der Mechaniker nicht.»
    «Aber verrückt genug, um sich an die Faschisten ausliefern zu

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