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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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lassen?»
    «Ruhe. Befehl ist Befehl. Außerdem, die Genossen in Moskau werden sich schon etwas dabei gedacht haben. Und umsonst sitzt der ja auch nicht hier.»
    «Na ja. Wenn es ihm genauso ergangen ist wie mir, dann wüsste ich etwas dazu zu sagen.»
    «Was ist das für eine Klappe hier unten?»
    «Das ist der Platz für den heißen Dampf, wenn die Kessel Überdruck haben. Da ist nichts. Dort überlebt keine Ratte, die wird gekocht.»
    «Matwej, komm runter und steig da rein. Wollen doch mal sehen, ob da nicht doch was ist.»
    «Genosse Offizier, ich muss Sie warnen. Wenn ich gezwungen bin, Dampf abzulassen, wird Ihr Mann verbrüht. Sonst riskiere ich, dass einer der Kessel in die Luft fliegt. Dann kriegen sie uns beide dran.»
    «Matwej, hör nicht auf den Zivilisten. Der versteht sowieso nichts von unserer Arbeit. Also rein da.»
    Lorenz hielt den Atem an. Mit beiden Händen umkrampfte er die Schüssel und rechnete in jedem Moment damit, die Visage eines Wochra zu sehen. Zur Tür mochten es gut fünf Meter sein, die Pfeiler, auf denen das Fundament der Kessel ruhte, versperrten den Blick. Aber wenn sie eine Lampe hatten, war er geliefert. Sein Pulsschlag wurde immer lauter, so laut, dass er schon glaubte, allein dieses Geräusch könnte ihn verraten.
    In dem Augenblick, als der Schieber ruckte und ein erster Spalt Licht in das Kellerloch drang, hörte er ein ohrenbetäubendes Fauchen, das in einen gellenden Pfiff überging. Eine Wolke heißen Dampfs füllte sofort den Raum. Lorenz steckte sein Gesicht in das kalte Wasser und blieb untergetaucht, solange die Luft reichte. Er spürte, wie seine Hände, die den Rand der Schüssel umklammerten, vom Dampf langsam verbrüht wurden. Die Hitze einer russischen Banja war ein laues Lüftchen dagegen. Als er wieder auftauchte, hörte er lautes Schimpfen.
    «Kesselflicker, bist du verrückt geworden? Willst du meine Leute braten? Hör sofort auf mit dem Unsinn und behindere unsere Ermittlungen nicht.»
    «Genosse Leutnant, ich habe es Ihnen gesagt.» Die Stimme des Kesselhauschefs klang gleichgültig. «Da kann kein Mensch rein, das sehen Sie doch, das ist lebensgefährlich. Stellen Sie sich vor, die beiden Burschen wären schon drin. Nicht auszudenken. Aber ich musste so handeln, sonst platzt mir der Kessel. Und das ist Sabotage. Das würde uns schlecht bekommen. Sehr schlecht. Ich würde es Ihnen nicht empfehlen, Ihre schöne Uniform gegen Sträflingskleidung zu tauschen. Sie wissen ja, wie schnell so etwas passiert.»
    Natürlich wusste das der Offizier. Aber er wollte auch nicht sofort klein beigeben.
    «Nun haben Sie Dampf abgelassen, dann können die Jungs ja jetzt rein?»
    «Rein können sie immer, aber ob sie wieder rauskommen, ist die Frage. Denn sehen Sie diesen kleinen Druckmesser hier, der immer mit seinem Zeiger hin und her springt, was sagt uns der?»
    Lorenz kannte das Manometer und wusste genau, was der Zeiger «uns sagte»: dass er kaputt war. Dass er längst hätte ausgetauscht werden müssen und mit dem heißen Dampf nur wenig zu tun hatte. Schon lange sollte einer seiner Leute das Ding reparieren, aber sie hatten keine Ersatzteile, und die neu zu feilen kostete viel Zeit. So blieb das Ding, wie es war. Kaputt.
    «Los, Petja, geh du dieses Mal als Erster, Matwej leuchtet dir den Weg …»
    Die Lust Petjas, verbrüht zu werden, hielt sich in Grenzen.
    «Genosse Offizier, das ist wie in der Hölle, da überlebt keine Wanze, ein Mensch schon gar nicht. Und hier, meine Hand, sehen Sie nur», jammerte der Soldat. «Ich muss zum Sanitäter. Die ist verbrüht.»
    «Dawaj! Keine Widerrede, Schieber auf und rein.»
    Lorenz hörte erneut das Rucken der Tür. Wieder drang ein schmaler Lichtstrahl in das Innere seines Verstecks. Wieder wurde das Zischen und Pfeifen des Dampfs lauter. Wieder tauchte er ab und versuchte dieses Mal, auch die Hände im Wasser zu schützen, obwohl das längst nicht mehr so kalt war. Als er auftauchte, hatte sich der Dampf gelegt. Es war heiß, aber man konnte atmen. Von draußen hörte er nur die fürchterlichen Flüche der Soldaten. Doch dann mischte sich erneut das Scharren der Stiefel unter die übrigen Geräusche im Kesselhaus, die Stimmen wurden leiser und leiser. Bis sie ganz verstummten.
    Lorenz wagte es nicht, sich zu bewegen. Endlich klopfte jemand mit dem Stiefel gegen die Pforte:
    «Alles noch dran?»
    Es war die vertraute Stimme des Kesselhauschefs.
    Lorenz schlug drei Mal mit einem Kieselstein an den Boden eines der Kessel:

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