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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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klock, klock, klock. Nun wussten auch die draußen, er lebte noch.
    Nach drei Tagen war der Alarm vorbei. Sascha Bauer kam ein letztes Mal mit Verpflegung und Nachrichten:
    «Ich glaube, morgen kannst du raus. Nur, du musst auf der Hut sein. Sie haben auf deinen Kopf eine Prämie ausgesetzt. Jeder kann dich verraten. Wenn dich ein Wächter abknallt, gibt’s dafür eine Sonderration Wodka. Pass auf!»
    Lorenz hatte Sascha, einen Wolgadeutschen, irgendwann aus einer Transportbrigade herausgepflückt und ihm eine Arbeit in der Werkstatt verschafft. Der Schlosser, der früher für die Kolchosen Traktoren repariert hatte, dankte dafür mit treuer Ergebenheit. Seine Sorge war also nicht gespielt. Und es gab in der Tat Anlass zur Sorge. Das Verschwinden eines Häftlings mitten im Lager ließ viele Schlüsse zu. Der naheliegende: Die Wochra hatte die Sicherheitslage nicht im Griff. Sehr bedenklich für den örtlichen NKWD-Chef, einen gewissen Tarakanow, und Grund für erhöhte Wachsamkeit. Dass sich der Name Tarakanow bezeichnenderweise von dem russischen Wort für Kakerlake ableitete, wunderte im Lager niemanden. Genosse Kakerlake ging davon aus, dass die Feinde der Sowjetunion gerade hier in Workuta eine Basis errichtet hatten. Schlimmer noch, von hier aus den Sturz der Arbeiter-und-Bauern-Macht planten.
     
    Im «schlauen Häuschen», wie die NKWD-Zentrale bei den Gefangenen hieß, herrschte aufgeregte Geschäftigkeit; ein Ameisenhaufen schien ein lahmer Verein dagegen. Unter Aufbietung aller Kräfte hatte man die deutschen Häftlinge herausgesiebt, in einem gesonderten Teil des Lagers isoliert und auf Etappe hinunter zur Ussa geschickt. Von dort aus sollten sie in den Süden verschifft werden. Das war nun einige Tage her. Nur einer fehlte auf der Liste: der Mechaniker der Bahnwerkstatt. Schon dreimal hatte Tarakanow die Werkstatt durchkämmen lassen. Schon dreimal hatte er sich den Chef der Werkstatt vorgeknöpft, diesen Kruglow. Ohne Ergebnis. Der Deutsche blieb wie vom Erdboden verschluckt.
    Tarakanow empfand es als persönliche Beleidigung, dass jemand einfach so, direkt vor seiner Nase, verschwinden konnte. Er blickte mit einem Glas Tee in der Hand aus dem Fenster und dachte darüber nach, dass der Tod von drei Spitzeln in den letzten beiden Monaten kein Zufall war. Da draußen musste ein Gegenspieler sein, der ein unsichtbares Netz von Fäden knüpfte, das die Arbeit des NKWD, ja der Partei behinderte. Es konnte gar nicht anders sein. Und er, Oberstleutnant Tarakanow, war dazu berufen, das konterrevolutionäre Nest auszuräuchern.
    Plötzlich sah er, umsäumt von den Eismustern, mit denen der Frost die Fensterscheibe verziert hatte, den Mechaniker schnurgerade auf die NKWD-Zentrale zukommen. Nur noch ein paar Schritte, und schon schwebte die braune Schapka des Deutschen Stufe um Stufe die Treppe zum Eingang empor. Und ehe Tarakanow noch einen Gedanken fassen oder gar einen Befehl brüllen konnte, hörte er Tumult im Vorzimmer. Dann flog die Tür auf. Der Wachhabende stürmte den Gesuchten am Arm zerrend ins Zimmer:
    «Ich habe ihn! Ich habe ihn gefasst!»
    «Halt’s Maul! Nicht du hast ihn gefasst, er ist gerade selbst hier reinspaziert. Ich habe es am Fenster gesehen. Lass ihn los und scher dich an die Arbeit.»
    «Genosse Oberstleutnant», Lorenz legte die unschuldigste Miene auf, zu der er fähig war, «ich weiß nicht, was in den Soldaten gefahren ist. Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit, und der schnappt mich wie ein Verrückter. Können Sie mir das erklären?»
    «Ich sage dir, lass ihn los.»
    Voller Wut presste Tarakanow jeden Buchstaben einzeln zwischen den Zähnen heraus. Der Sergeant schlich davon, sichtlich empört, dass man ihn um die Sonderration Wodka betrog. Denn zweifellos war er der Erste, der den Flüchtigen ergriffen hatte. Dass es mitten in der Zentrale war, tat aus seiner Sicht nichts zur Sache. Tarakanow setzte sich hinter seinen Schreibtisch, legte die Fingerspitzen auf Höhe seines Kinns aneinander und schaute Lorenz lange an. Endlich begann er:
    «So, so, Sie kommen in einer wichtigen Angelegenheit zu mir. Darf ich erfahren, um was es sich handelt?»
    «Ich habe eben gehört, dass Sie mich suchen, und bin deshalb sofort hierhergeeilt. Worum geht es?»
    «Ja, worum geht es? Sagen wir mal so: Wo waren Sie die letzten vier Tage? Wir haben überall gesucht.»
    «Ich war hier.»
    Lorenz machte eine Handbewegung, als hätte er die ganze Zeit im Zimmer des NKWD-Chefs verbracht.
    «Wo

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